Sonntag, Oktober 23, 2016

Estland sucht den Präsidenten

Nachdem in meiner Top-10 der meistgehasstesten Personen der vorherige Präsident Ilves auf den vordersten Rängen aufzufinden war (und offenbar nicht nur bei mir, denn bei einer Umfrage der russisch-spachigen Version der Zeitung Postimees haben mehr als 90% der Befragten ihm eine glatte 1 gegen, also die schlechteste aller Noten, leider ist die Umfrage nicht mehr online), war man sehr gespannt, wer denn sein Nachfolger/Nachfolgerin wird. Neben dem ehemaligen Europakommissaren Siim Kallas war die aussichtsreichste Kandidatin Marina Kaljurand, ehemalige Botschafterin unter anderem in Russland während der Bronzenen Nächte und jetzige Aussenministerin (die sogar zurücktrat, um für Präsidentenamt kandidieren zu können). Aber nach einigen Wahlgängen in Parlament und in der Wahlversammlung konnte man sich nicht auf einen Kandidaten einigen (man braucht 2/3 der Stimmen), also wurde allen klar, dass man von Null anfangen muss und jemanden präsentieren, der/die kein/e Politiker/in war, um alle zahlreichen Parteien im Parlament zufriedenstellen zu können. Ich persönlich denke, es war eine gute Entscheidung, denn Kaljurand hätte die Politik von Ilves fortgesetzt und Siim Kallas hatte seit den 90ern keine reine Weste, es gibt hartnäckige Gerüchte über eine Finanzaffäre in den 90ern, so dass es als President beschädigt werden konnte.

Innerhalb von sieben Tagen musste also ein/e neue/r Kandidat/in gefunden werden und es ist tatsächlich gelungen, heute wurde Kersti Kaljulaid zur neuen Präsidentin gewählt und zwar mit sehr guten 81 Stimmen. Ich muss gestehen, den Namen Kaljulaid habe ich nie vorher gehört, aber da ging es mir nicht anders, als den meisten russisch-sprachigen Experten. Was wissen wir über die neue Präsidentin, ausser dass sie auf den Photos sehr sympathisch rüberkommt?

Kersti Kaljulaid ist in Tartu geboren, sie ist 46 Jahre alt, Mutter von vier Kindern, wobei zwei Kinder wohl aus einer früheren Beziehung stammen. Über den Beruf ihres Mannes George-Rene Maksimovski sagt Kersti, dass sie selbst nicht so genau weiss, womit er sich beschäftigt, angeblich hatte er Zugang zu Staatsgeheimnissen, arbeitete in einer geheimen Abteilung des Verteidigungsministeriums. Zur Zeit ist er offiziell Hausmann, wobei es auch gerüchtweise heisst, dass manche Positionen so geheim sind, dass selbst das Beschäftigungsverhältnis nicht offengelegt wird.

Kersti studierte Biologie in Tartu nach dem Abschluss, setzte sie noch ein Magister in Business-Administration drauf. In den späten 90ern arbeitete sie bei Hansapank Markets. 1999 wurde sie als Wirtschaftsexpertin Beraterin von dem Premierminister Mart Laar in Wirtschaftsfragen. Genau in dieser Zeit gab es einige Privatisierungsskandale, als die estnische Eisenbahn erst privatisiert, dann für viel Steuergeld vom estnischen Staat zurückgekauft wurde. Im Jahr 2002 arbeitete sie im mittleren Management bei Eesti Energia. Im Jahr 2004 wechselte Kersti nach Brüssel und arbeitete bis zu diesem Jahr bei dem Europäischen Rechnungshof. Gleichzeitig war sie ein Mitglied bei der estnischen Genom-Stiftung und ein Mitglied des Kuratoriums der Tartuer Universität. Von 2001 bis 2004 war sie Mitglied der Partei Isamaaliit (Vaterlandsunion). Ebenfalls arbeitete sie beim Radio als Moderatorin.

Man kann sagen, dass Kersti beim Volk zwar weitgehend unbekannt ist, aber bei den Politikern und Beamten bestens vernetzt ist. Als Person ist sie nicht wirklich angreifbar, eine laute Kritik gibt es an dem Wahlverfahren, denn die teueren und aufwendigen Kampagnen der Kandidaten waren alle für die Katz, stattdessen fand man innerhalb von sieben Tagen eine weitgehend unbekannte Kandidatin für die auf einmal alle Parteien nahezu geschlossen gestimmt haben. Als sonderlich demokratisch wird es nicht empfunden.

Die russisch-sprachige Gemeinde interessiert natürlich brennend, was die neue Präsidentin zu ihr sagen kann. Kersti sagte ein paar russische Worte in die Kamera, entschuldigte sich, dass sie aus der Übung ist, versicherte aber, dass sie zu jeder Gemeinde in Estland in ihrer Sprache versuchen wird zu reden, also auch Finnisch und Englisch. Die Einladung zum Kongress der Minderheitenkammer hat sie erstmal ausgeschlagen, aber zwei Wochen vorher anzufragen, ist auch etwas kurzfristig. Von besonders progressiven Mitgliedern der Gemeinde gab es noch Gemosere wegen ihrer Antrittsrede, in der sie vom ethischen Staat gesprochen hat, aber bisher gab es keine größeren Taten oder Ausrutscher, die darauf hinweisen, wie die Präsidentin mit den Minderheiten umzugehen gedenkt.

Ich persönlich kann die Ernennung von Kersti Kaljulaid nur begrüßen. Sie ist nicht in Parteigezank verwickelt, hat noch Erinnerung an die sowjetischen Zeiten, so dass sie keine so unqualifizierten Aussagen wie Ilves über die Vergangenheit machen wird. Sie hat angekündigt nicht im Kadriorgpalast zu wohnen, sondern bleibt in ihrem Haus, was diskutabel ist, denn es zeigt, dass für sie Präsidentschaft nur ein Amt ist und keine Berufung. Ich finde es gut, dass Kersti nicht die Mutter der Nation spielen möchte. Sie hat gute Kontakte nach Brüssel und hat in den 12 Jahren genügend Zeit gehabt, sich mit dem europäischen Geist vollzusaugen, um zu verstehen, was in Estland geändert werden muss, um noch europäischer zu werden. Deswegen wünsche ich Kersti alles Gute auf diesem Posten.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hm, na ja..dann schaun wir mal...Der Vergleich mit Pippi Langstrumpf scheint mir sehr trefflich zu sein, so etwas fern der Realität. Ilves war wenigstens noch ein politischer Mensch, über den man sich aufregen konnte (das gilt ja nicht nur für kloty), aber hier...? Dass in Estland zu wenig Kinder geboren werden (wie die neugewählte Präsidentin in ihrer Antrittsrede beklagte), was soll uns das sagen?

Anonym hat gesagt…

Видео улыбнуло. Ильвес вне себя по-моему. Интересно потерял ли тот "открыватель двери свою работу:)