Sonntag, September 28, 2014

Die Sklaverei des XXI Jahrhunderts

Das ist eine Übersetzung eines Kapitels des Buches von Vladimir Buzaev „Правовое положение русскоговорящего меньшинства в Латвии“ „Die rechtliche Lage der russisch-sprachigen Minderheit in Lettland“. Vladimir Buzaev ist der Leiter des Zentrums für Menschenrechte in Lettland und setzt sich besonders für die Belange der russisch-sprachigen Bevölkerung Lettlands ein.

Zum Anfang des Jahres waren unter den lettischen Staatenlosen die Letten zu 0,3% vertreten, die Vertreter der drei brüderlichen slawischen Völker waren mit 89% vertreten. Der Fakt, dass den Status „Staatenloser Lettlands“ zum Beispiel acht Araber und drei Assyrer, als auch 1304 Tataren (einer von ihnen ein Krimtatare) innehaben, macht nicht viel aus.

Im Jahr 2012 waren 40% von den Staatenlosen diejenigen, die in Lettland, nicht selten in der dritten oder vierten Generation geboren wurden.

  Der Älteste unter ihnen, der nicht den hohen Rang eines Bürgers würdig ist, kam 1892 auf die Welt, als es Lettland noch gar nicht gegeben hat!

Die Durchschnittsdauer des Aufenthaltes in Lettland für Staatenlose, die ausserhalb Lettlands geboren wurden, beträgt 47 Jahre. Das ist mehr als zweimal so lange, wie die Zweite Lettische Republik existiert, die mit Sturheit versucht, sie für Immigranten zu halten.

  Im Jahr 1942 kamen nach Lettland 1003, im Jahr 1943 1576 Personen, die im Jahr 1993 als künftige Staatenlose registriert wurden. Das war die Periode des Vernichtungsfeldzuges auf dem Gebiet der benachbarten Republiken (hauptsächlich Weißrussland), mit zwangsweiser Umsiedelung aufs Territorium Lettlands. Lettland hat ihnen politische Rechte entzogen und zeigte sich damit solidarisch mit den Nazis.

  Staatenlose und die EU

In der Presse und sogar in der Statistik des Eurostates werden ganz unerwartete Daten über die Anzahl der Staatenlosen in der EU verbreitet. Lettland kommt zum Beispiel was den Anteil der Staatenlosen angeht erst auf den dritten Platz nach Luxemburg und Zypern.

Das geschieht deswegen weil man zu den Staatenlosen, die keine Staatsangehörigkeit von IRGENDEINEM Land haben, auch Bürger von Ländern ausserhalb der EU dazugezählt werden. Wenn man das korrigiert, dann stellt es sich heraus, dass die Staatenlose Lettlands 70% aller Staatenlosen im 500 Mio. Einwohner zählendem EU stellen, zusammen mit den Staatenlosen Estlands sind es 92%!

In seiner Publikation für das Jahr 2013, hat sich der Eurostat „korrigiert“ und hat keine Angst den Tatsachen ins Auge zu sehen. Die Eurobeamten haben nicht nur verstanden, wer diese „non-citizens“ jetzt sind, sie haben sogar erklärt, dass in Lettland und in Estlands sie 96% bzw. 88% von denjenigen Personen sind, die die Staatsbürgerschaft im Jahr 2011 angenommen haben. Schon 20 Jahre lang gibt man ihnen auf individueller Basis und gegen Bezahlung diejenigen Rechte zurück, die ihnen auf kollektiven Basis und ohne Kompensation weggenommen wurden.

Lettland und Estland vergaben im Jahr 2011 Staatsbürgerschaft an 12 Personen auf 10 000 Einwohner, bei einem mittleren Niveau in EU von 16. Wenn man die Anzahl der Einwohner nimmt, die nicht die Staatsbürgerschaft des Landes haben in dem sie wohnen, dann waren es in Lettland 6 von 1000, die eingebürgert wurden, das ist der drittletzte Platz nach Tschechien und Slowakien, und viermal weniger als im EU-Mittel. In Schweden ist dieser Wert der Einbürgerung, den man nicht an die im Land geborenen, sondern an die richtigen Ausländer anwendet, 10 Mal so hoch wie in Lettland.

  Die internationale Institutionen geben selbstverständlich Lettland Empfehlungen, wie die Staatenlosigkeit verringert werden kann. In der Sammlung von Aleksander Kuzmin gibt es schon 37. Doch trotz aller Aufrufe die Rechte von Bürgern und Staatenlosen nur bei den Wahlen ins Parlament zu unterscheiden, zählen wir 80 solcher Unterscheidungen in allen Lebensbereichen auf. Zum Beispiel gibt es einen Unterschied bei der Höhe der Rente, der Prozess wurde beim Europäischen Gericht für Menschenrechte vom Autor des Buches gewonnen, das Urteil wird schon seit fünf Jahren nicht umgesetzt.

  Unter den 80 Einschränkungen gibt es 17, die nicht für die EU-Bürger gelten, die zeitweise in Lettland leben. Zum Beispiel das Recht in kommunale Verwaltungen gewählt zu werden. Und das ist ein direkter Merkmal von europäischen Rassismus.

  Die Kinder der Staatenlosen 

Das gebildete Europa schluckte schweigsam die Problematik der Massenstaatenlosigkeit und schlug verschämt vor, das Problem innerhalb einer Generation zu lösen und die Staatsbürgerschaft denjenigen zu geben, die nach der Unabhängigkeit Lettlands geboren wurden.

  Solche Empfehlungen wurden dem Sejm letztes Jahr vorgestellt, als das Parlament nach 15-jährigen Pause sich endlich entschloss Änderungen in das Gesetz „Über die Staatsbürgerschaft“ reinzubringen. Mit Unzufriedenheit stelle ich fest, dass unter den Hundert Abgeordneten des Sejms, es nicht einen einzigen gegeben hat, der wenigstens einen Vorschlag initiiert hätte, der eine radikale Änderung der Situation mit der Staatenlosigkeit bewirkt hätte. Gerechtigkeitshalber muss ich anmerken, dass die Harmoniepartei den Vorschlag, der den internationalen Empfehlungen über die Anerkennung der Staatsbürgerschaft für die in Lettland geborenen Kinder der Staatenlosen folgt, einbrachte, doch bekam er nicht die Unterstützung der Mehrheit.

Die Situation mit den Kindern von Staatenlosen ist in der nachfolgenden Tabelle, die auf den Daten des ZSB und dem Einwohnermeldeamt basiert, dargestellt.


Kinder der Staatenlosen im XXI Jahrhundert 

Die zweite und dritte Kolumnen der Tabelle zeigen die minimal und die die maximale Anzahl der Kinder, die den Status des Staatenlosen zum Zeitpunkt der Geburt bekommen. Mit der Zeit stirbt ein Teil der Kinder, emigriert mit ihren Eltern oder werden lettische Staatsbürger. Diese Veränderungen zeigen sich in den nachfolgenden Kolumnen der Tabelle.

Die Anzahl der Staatenlosen, die im XXI Jahrhundert geboren wurden und die weiterhin staatenlos geblieben sind, hat sich in den vergangenen sechs Jahren nur um 191 Personen, oder um 3% verringert. Dieser Fakt zeigt alle „Bemühungen“ Lettlands die Massenstaatenlosigkeit zu verringern.

  Zum ersten Juli 2013 gab es im Einwohnerverzeichnis 112 Staatenlose, die im Jahr 2013 geboren wurden und 12610 Staatenlose, die nach dem ersten Januar 1992 geboren wurden.

  Und wie ist es in Estland?

  In den letzten vier Jahren war unter den Staatenlosen die Annahme einer fremden Staatsbürgerschaft (vor allem der russländischen) populärer, als die Prüfungen zur Annahme der lettischen Staatsbürgerschaft. Zumeist hat es wohl was mit dem Unterschied im Renteneintrittsalter zwischen Russland und Lettland zu tun.

Viel weiter auf diesem Weg ist die russisch-sprachige Gemeinde in Estland. Insgesamt bekamen in den Jahren 1992-2008 149.351 Personen die estnische Staatsbürgerschaft, die Gesamtanzahl der Leute, die die russländische Staatsbürgerschaft in Jahren 1992 bis zum Ende 2007 angenommen haben, beträgt 147.659 Personen. Zum Anfang des Jahres 2009 lebten in Estland 110.284 Personen mit „unbestimmter Staatsangehörigkeit“ und 96.616 der russländischen Staatsbürger mit gültiger Aufenthaltserlaubnis.

  Das Verhältnis der verschiedenen Kategorien der „nicht-nativen“ Bevölkerung in Lettland und Estland in den Jahren 2011-2012 ist in der folgenden Tabelle angeben

 
Vergleichsdaten über den Status der Bevölkerungsgruppen in Estland und Lettland (2011-2012)

Es ist offensichtlich, dass unsere Freunde im Unglück aus Estland sich viel energischer ihr Rechtsstatus (Entscheidung zwischen der Staatsbürgerschaft Estlands oder Russlands) bestimmt haben als wir. Besonders gut sieht man das am Diagramm, dass die Anzahl der Personen zeigt, die jedes Jahr die estnische bzw. lettische Staatsbürgerschaft bekommen haben.

 

In Estland wurde schon alles in der ersten Hälfte der 90er Jahre beschlossen, als man „die unentschlossenen“ Personen, im Gegensatz zu den staatenlos gewordenen Letten, zur Aufenthaltsgenehmigung gezwungen hat.

In Lettland gab es zwei Peaks der Annahme der Staatsbürgerschaft. Der erste hat mit der Abschaffung der Rahmenbedingungen zu tun, die es den Personen älteren Alters, die nicht in Lettland geboren wurden, nicht erlaubten, die Staatsbürgerschaft anzunehmen. Den zweiten erklärt man gewöhnlich mit dem Beitritt Lettlands in die EU.  

Der Autor ist wohl der einzige, der die erhöhte Interesse zur Annahme der Staatsbürgerschaft nicht mit der tiefen Verehrung der EU erklärt, sondern mit dem wachsenden Selbstbewusstsein der russischen Letten, das mit dem Kampf um den Erhalt der russischen Schulen einhergeht. Zumindest sieht man in Estland, das gleichzeitig mit uns in die EU eingetreten ist, keinen entsprechenden Anstieg der Staatsbürgerschaften. Und das folgende Nachlassen des Interesses zur Annahme der Staatsbürgerschaft fällt recht genau in die Zeit mit dem Nachlassen der Proteste zusammen. Zumindest sind wir 2007 ganz sicher nicht aus der EU ausgetreten.

  Nach 2008 wirkt sich der Prozess der Annahme der Staatsbürgerschaft kaum auf die Verminderung der Massenstaatenlosigkeit aus. Doch wir müssen anmerken, dass bei fast der gleichen Anzahl der neuen Staatsbürger in dieser Periode, das potentielle Kontingent der zur Annahme berechtigten ist in Estland dreimal so klein wie in Lettland.

  Die Null-Variante

  Die Fraktion PCTVL (Für Menschenrechte im vereinten Lettland), als sie noch in Sejm war, hat mehrmals Anträge zur Gesetzgebung über die Null-Variante der Staatsbürgerschaft, d.h. zur automatischen Anerkennung (mit Antrag oder ohne) als Staatsbürger für alle oder der überwältigenden Mehrheit der Staatenlosen, eingereicht. Besonders effektiv sah unsere gesetzgebende Initiative im September 2005 aus, als die Einreichung des Gesetzesvorschlags von einer Massendemonstration (bis zu 1000 Leute) im Zentrum von Riga begleitet wurde. Den Antrag hat der Fraktionsvorsitzender Yakov Pliner eingereicht. Der Rigaer Stadtrat verbot den Marsch, doch wir haben einen Tag vor dem Beginn der Veranstaltung das Verbot vor dem Gericht gekippt.

Als wir uns ausserhalb des Sejms wiederfanden, haben wir unsere „schädliche“ Gewohnheiten nicht geändert und haben eine ähnliche Gesetzesvorlage, die vom Kollegen Aleksander Kuzmin verfasst wurde, als eine Volksinitiative eingereicht. Dazu wurden zum September 2012 als Unterstützung 12.000 notariell beglaubigten Unterschriften der Bürger gesammelt.

  Die Gesetzesvorlage geisterte lange Zeit in verschiedenen Gerichtsinstanzen, inklusive dem Verfassungsgericht. Am 12 Februar 2014 hat der Senat des Obersten Gerichts dem Herumgeistern ein Ende bereitet und erkannte die Gesetzesvorlage als nicht verfassungsgemäß an.

Genauer gesagt, nicht mal der Verfassung selbst widersprechend, sondern einer Präambel, die noch nicht verabschiedet wurde, die die Kontinuität der Existenz der Lettischen Republik während der 50 Jahre der „Okkupation“ unterstreicht.

Es ist interessant dass die Null-Variante der Staatsbürgerschaft für bestimmte Kategorien von Personen, vom obersten Sowjet Lettlands am 15. Oktober 1991 verabschiedet wurde. Im Gegensatz zu den sklavenhalterischen Athens, wurde die Staatsbürgerschaft denjenigen gegeben, bei denen nur ein Elternteil ein Staatsbürger des Vorkriegs-Lettlands gewesen ist. Solcher gab es fast 400.000. Was schlechtes ist deswegen mit der Lettischen Republik nicht geschehen. Heute gibt es noch 280.000 Staatenlose.

Der Unwille der Regierung die Staatenlosigkeit der nationalen Minderheiten, sogar unter den minderjährigen Kindern zu beseitigen, ist genauso irrational, wie die Theorie der Kontinuität. Von der Schande wäscht man sich nicht rein und die Auswirkung der Stimmen dieser potentieller Wähler, selbst wenn man annehmen dürfte, dass sie aktive Gegner der Regierungsparteien sind, ist nicht sonderlich hoch. In jedem Fall haben in Estland sowohl die Staatenlosen, als auch die Staatsbürger Russlands von Anfang an Stimmrechte bei den Kommunalwahlen. Und Estland wurde deswegen nicht ein Teil der Russischen Föderation.

Samstag, September 27, 2014

Wie unterstützt Estland Ukraine?

Die estnische Führung, insbesondere Präsident Ilves, zeigt keinen Zweifel, welche Seite sie im ukrainischen Konflikt einnimmt. Jede Art von Unterstützung wird versprochen. Doch wie sieht die Realität aus?

Laut Postimees.ee wurde keine einzige von 35 Anfragen für den Status eines Flüchtlings aus der Ukraine bisher positiv beantwortet. Es gab auch andere Anfragen, wie zum Beispiel Anfrage für den Status als Gastarbeiter, es waren 453 aus der Ukraine, doch das ist mit strengen Bedingungen verknüpft, der Arbeitnehmer muss einen gültigen Arbeitsvertrag haben, das Gehalt muss das Doppelte vom Mindestlohn betragen, es muss eine Wohngelegenheit vorhanden sein und der Arbeitgeber muss gesondert geprüft werden. 166 Ukrainer wollten aus familiären Gründen nach Estland ziehen. Wievielen Anträgen hier stattgegeben wurde, darüber schweigt das Innenministerium.

Der Aussenminister Päet sagte, dass Estland grundsätzlich bereit wäre, Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen, doch es wäre sinnvoller die Leute in ruhigere Regionen in ihrer Heimat zu überführen, diese innländische Migration unterstützt Estland durch die UNO.

Estland zieht es vor kurzfristige Programme zu unterstützen, wie die medizinische Behandlung von Verletzten während der Unruhen auf dem Maidan-Platz in Kiev. Damals wurden fünf Leute nach Estland ausgeflogen und in estnischen Krankenhäusern behandelt. Am Dienstag wurden noch zehn Leute aus der Ukraine nach Estland ausgeflogen, laut dem Aussenministerium sind es Zivilisten, die während der Anti-Terroristischen-Operation (ATO) im Süd-Osten Ukraine verletzt wurden.

Doch es gibt gewisse Zweifel, ob diese Aussage über behandelte Zivilisten den Tatsachen entspricht. Die ukrainische Presse (hier oder hier) schreibt was anderes: Nach Estland wurden zur medizinischen Behandlung 10 Kämpfer der ATO geschickt… Unter den verletzten Patienten befinden sich Vertreter der Bataillone des Verteidigungsministeriums und der Freiwilligenverbände der Nationalen Armee der Ukraine.

Einer der Behandelten ist Andrej Tarasenko. Es ist der erste Stellvertretender Vorsitzender der Organization „Trizub von Stepan Bandera“ und einer der Koordinatoren der Gruppierung „Pravij Sektor“. In seinem Facebook-Eintrag berichtet er, wie es nach Estland ausgeflogen wird, man soll nicht traurig sein, er wird zurückkommen und weiterkämpfen.


Tarasenko ist hinten rechts.


Flug zur Behandlung nach Estland

Мы говорим по-русски - Wir sprechen Russisch

„Мы говорим по-русски“ „Wir sprechen Russisch“ - solche Aufkleber werden seit einiger Zeit kostenlos vom Besitzer der gleichnamigen Webseite (engl. hier) verteilt. Dieser Internet-Projekt versucht die Praxis der offiziellen Nutzung der russischen Sprache in Estland zu ändern, unter anderem in der an Russland angrenzenden Stadt Narva, die offiziell nicht als ein Ort mit vorherrschenden russischen Bevölkerung zählt.

„Russische Sprache: soll man sich streiten oder einigen?“ - überlegt der Journalist der Regionalzeitung „Viru Prospekt“ Nikolai Andreev.

Die Webseite „Мы говорим по-русски“ - „Wir sprechen Russisch“ positioniert sich als ein privates Projekt von Mikhail Tverskoj. Dort erklärt der Autor, dass das Hauptanliegen des Projektes sei es zu erreichen, dass die Arznei-, Speiseprodukte und andere Warenhersteller die Information über die Produkte nicht nur auf Estnisch, wie es das Gesetz verlangt, sondern auch auf Russisch zur Verfügung stellen sollten. Russisch-sprachige Anleitungen werden laut den Daten auf der Webseite nur von 10% der Hersteller beigelegt.

Das zweite Ziel ist es die Leser zu informieren, dass laut dem Artikel 51 der Estnischen Verfassung, können in den Regionen, wo die Hälfte der Bevölkerung Vertreter von nationalen Minderheiten sind, jeder Mensch sich an staatliche und kommunale Behörden in der Sprache der nationalen Minderheit wenden kann und in dieser Sprache auch die Antwort bekommen muss. Das Paradox ist dabei, dass als nationale Minderheit nur die estnischen Staatsbürger anerkannt werden. So ist auch die russisch-sprachige Narva keine Stadt, in der die Mehrheit der Bevölkerung - Russen (und nicht nur russisch-sprachige) Bürger Estlands sind.

Es ist schwierig das Gefühl loszuwerden, dass das ein Trick des Gesetzgebers ist, denn Ortschaften, wo die Mehrheit der Einwohner laut dem Gesetz die Vertreter der nationalen Minderheit sind, gibt es in Estland wohl nicht.

Doch weil es in der Realität die Hauptverständigungssprache in Narva Russisch ist, gibt es eine inoffizielle Praxis ihren Gebrauchs in den kommunalen Behörden. Das leuchtendste Beispiel: Sogar die Sitzungen des Stadtrates von Narva werden auf Russisch durchgeführt.

Laut dem Stadtsekretär Ants Liimets, gilt in Narva gutwilliges Verhältnis zu der russischen Sprache. Die Beamten nehmen Papiere von Privatpersonen in russischen Sprache an und geben die Antwort auch in Russisch, obwohl sie dazu nicht verpflichtet sind. Auch kann man sich an die juristischen Personen auf Russisch wenden, doch die Antwort wird auf Estnisch kommen. Verordnungen, Beschlüsse, Anordnungen und andere offiziellen Dokumente, die vor dem Gericht angefochten werden können, werden nur auf Estnisch herausgegeben.

Auf Russisch wird der Briefverkehr mit dem russländischen Generalkonsulat und mit verschiedenen Einrichtungen in Russland geführt. Es gibt ein von beiden Ländern unterschriebenen internationalen Vertrag laut dem Estland sich verpflichtet hat, offizielle russländische Briefe auf Russisch und Russland die estländische Briefe auf Estnisch zu beantworten, doch Ants Liimets nennt diese Situation komplett unrealistisch.

Einen komplett anderen Weg verkünden die Autoren des Internet-Projekts „Мы говорим по-русски“ „Wir sprechen Russisch“. Sie sammeln auf ihren Seiten die krassesten Fälle der Sprachdiskriminierung, die Webseite ist in einem aggressiven Stil verfasst. Von einer Balance der Interessen und Meinungen kann hier keine Rede sein. In bestimmten Rubriken der Webseite sind Listen von Firmen veröffentlicht, die Anleitungen in russischen Sprache anbieten, von Firmen, die keine Anleitungen anbieten, als auch von solchen, die „eine Anordnung bekommen haben, in den nächsten sechs Monaten anzufangen Informationen über ihre Waren oder Dienstleistungen auf Russisch anzubieten“. Das bedeutet, dass die Autoren nicht versuchen eine gemeinsame Sprache mit dem Hersteller zu finden, sondern diktieren ihnen ihre Bedingungen. Welcher Weg beim Lösen diesen offensichtlichen Problems der richtige ist, wird sich wohl mit der Zeit zeigen.

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Ein Artikel von MGPR.EU

0,9% der in Estland lebenden Russen dürfen laut Verfassung Russisch sprechen

Das Projekt MGPR.EU (auf Russisch „Мы говорим по русски“, auf Deutsch „Wir sprechen Russisch“ Anm. des Übersetzers). hat eine Übersicht über die Orte in Estland erstellt, deren Bewohner das Verfassungsrecht haben auf Russisch zu sprechen. Es gibt keinen offenen Zugang zu dieser Information, auf der Seite des estnischen Statistikamtes fehlt diese. Deswegen musste das Projekt MGPR.EU diese Information bei den Mitarbeitern des Statistikamtes erfragen.

Man muss anmerken, dass das Statistikamt keine fertige Information hatte und laut dem Mitarbeiter müssen sie diese Information auf der Datenbank, die zur Volkszählung im Jahr 2011 erstellt wurde, extrahieren. Und wie ist es mit der Behauptung aus dem Amt des Präsidenten, dass diese Information jeden Jahr vom Innenministerium gesammelt wird? Woher nehmen sie die Information für jedes Jahr, wen die letzte Volkszählung in Estland im Jahr 2011 stattgefunden hat? Man weiss es nicht.

Letztendlich brauchte das Statistikamt fünf Arbeitsstunden und die Rechnung über 75 EUR für den Autor, um die notwendige Information aus ihren Datenbanken zu sammeln. Im Endergebnis bekam man eine Datei mit 52.561 Zeilen mit Daten, in denen die Antwort versteckt war, die Einwohner von welchen Orten in Estland können mit den Vertretern der Staatsmacht sich auf Russisch unterhalten.

Nach der Sortierung der Daten, wurde endlich die Antwort gefunden. Tabelle 1 (engl.) und unterstehende Karte zeigen bevölkerte Ortschaften in denen die örtlichen Russisch-sprachige das Recht haben Russisch zu sprechen, da der Anteil der russisch-sprachigen Minderheit im Verhältnis zu den ständigen Einwohnern dieser Ortschaften 50 oder mehr Prozentpunkte beträgt.


Karte 1

Tabelle 2 (engl.) und die unterstehende Karte zeigen die Ortschaften, wo die Russen laut angegebener Nationalität in Estland leben (Ortschaften mit 50 und mehr Prozentpunkten sind in der Tabelle aufgelistet).


Karte 2

Je breiter die Kreise auf der Karte, desto höher das Verhältnis des russisch-sprachigen Minderheit (Karte 1) oder der russisch-sprachigen laut ihrer Nationalität (Karte 2)

Ergebnisse:

1. Laut den statistischen Daten haben Sie in solchen russisch-sprachigen Städten wie Narva, Kohtla-Järve und Jõhvi nicht das Recht Russisch zu sprechen. Sie sind nicht in der Tabelle 1 enthalten, weil die Anzahl der Einwohner, die dem Kriterium der nationalen Minderheit entspricht, nicht dem geforderten Verhältnis entspricht.

2. In der Tabelle 1 gibt es nur Dörfer und nur zwei Städte (Mustvee und Kallaste mit 693 bzw. 615 Einwohnern)

3. Fast alle Ortschaften aus der Tabelle 1 befinden sich am Ufer des Peipus-Sees oder am Zufluss des Flusses Narva

4. Laut den Daten in der Tabelle 1, haben nur 2.969 Menschen in Estland das von der Verfassung garantiertes Recht auf Russisch zu sprechen!

5. In Estland leben 326.235 Menschen mit russischen Nationalität

6. Nur 0.9% der Menschen mit russischen Nationalität hat das von der Verfassung garantiertes Recht Russisch zu sprechen (2.926/326.235)!

7. In Estland gibt es 175.888 Menschen, die zu der russischen Minderheit (also russische Nationalität und Bürger Estlands) gehören

8. Nur 1,7% derjenigen, die zu der russischen Minderheit gehören, haben das von der Verfassung garantiertes Recht Russisch zu sprechen (2.969 / 175.888)!

9. Ein Großteil der Orte, wo Russen laut ihrer Nationalität in Estland leben, sind nicht die Orte, wo die Russen als nationale Minderheit leben, was ihnen die Möglichkeit nimmt, das von der Verfassung garantiertes Recht Russisch zu sprechen, für sich in Anspruch zu nehmen.

Freitag, September 26, 2014

Bericht: Für die russischen Kinder ist es nutzlos in gebrochenen estnischen Sprache zu lernen

Original des Berichts ist hier

Die im April vom Bildungsministerium zusammengestellte Arbeitsgruppe zur Analyse der Situation beim Übergang der russischen Schulen zur estnischen Unterrichtssprache stellte heute ihren Bericht vor, in dem geschrieben steht, dass die Ergebnisse des Übergangs häufig von den Schulen stark beschönigt wurden. Unter anderem wurde angemerkt, dass die Schüler selbst ihre Erfolge im Estnischen nicht mit dem Bemühungen in der Schule verbinden, sondern eher mit den ausserschulischen Begegnungen mit den Muttersprachlern.

Im Abschluss der Arbeit der Experten wurde offiziell eine Menge Unzulänglichkeiten beim Übergang auf die estnische Unterrichtssprache erläutert, was schon früher häufig und ergebnislos von Lehrern selbst, den Schülern und den Eltern angemerkt wurde.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe betonten, dass auch wenn nach formalen Merkmalen das Ziel des Übergangs man als erreicht betrachten kann, doch tatsächlich wird in den Schulen nur das Auswendiglernen von Fachwörtern und typischen Antworten für die Prüfungen geübt, anstatt dass man die estnische Sprache für Gespräche und Kommunikation benutzt.

„Die Schüler lernen während des Unterrichts die passive Sprache - sagen „Ja“, „Nein“, geben Standardantworten, doch hauptsächlich hören sie zu“ - sagte einer der Mitglieder der Arbeitsgruppe Einar Värä von SA Innove.

Laut der Aussage des Bildungsministers Evgenij Ossinovski, sollte die formelle Erfüllung des Gesetzes nicht in Vordergrund stehen - das Ministerium interessiert sich, dass die Schüler qualitativ gute Bildung bekommen und die estnische Sprache auf sehr gutem Niveau beherrschen.

„Das Ministerium betrachtet sehr ernsthaft die Aussagen und Vorschläge der Arbeitsgruppe, man muss eine sorgfältige Analyse und eine öffentliche Diskussion führen“, unterstrich Ossinovski.

Einen Durchbruch bei Estnisch-Kenntnissen gab es nicht

Laut der Bewertung der Experten hat die Behauptung, dass ein teilweiser Übergang auf die estnische Unterrichtssprache, die Beherrschung der Staatssprache verbessert, keiner Überprüfung standgehalten, es hängt von dem grundsätzlichen Progress an den Schulen ab.

„Einen besonderen Durchbruch in Beherrschung der estnischen Sprache wurde nicht festgestellt. Die Schüler selbst verbinden ihre Erfolge bei der estnischen Sprache kaum mit der Schule, hier spielt die ausserschulische Kommunikation mit den estnischen Muttersprachlern die entscheidende Rolle“, bemerkt der Direktor des russischen Gymnasiums in Kiviõli Arne Piirimägi.

Die Arbeitsgruppe merkt an, dass es notwendig ist, ausserschulische Kommunikation mit den Trägern der estnischen Sprache zu entwickeln, denn das ist ein Faktor, der das Erlernen der Sprache begünstigt.

Die Schulen sollen für die Ergebnisse der Ausbildung verantwortlich sein

Häufig erfüllen die Schulen zu pflichtbewusst den Übergang auf die estnische Unterrichtssprache in dem Verhältnis 60:40, ohne genügend Ressourcen dafür zu haben. Das zeigt sich während des Unterrichts: vor der Schulklasse steht ein hilfloser Lehrer, der Stoff wird unqualifiziert beigebracht, sagen die Experten. Ihrer Meinung nach nutzt es niemandem, wenn das Fach in einem gebrochenem Estnisch unterrichtet wird. Die Schulen müssen für die Ergebnisse der Ausbildung verantwortlich sein, unabhängig von der Unterrichtssprache.

Laut der Meinung des stellvertretenden Direktors für Lehr- und Erziehungsarbeit des russischen Gymnasiums in Kohtla-Järve Ulvi Vilumets, sollte man den Schulen freie Hand geben und sie selbst auswählen lassen, welche Fächer sie auf Russisch und welche auf Estnisch unterrichten wollen, in Abhängigkeit von dem Sprachniveau der Lehrer und dem Vorhandensein von Lehrbüchern.

Ausserdem unterstrich Vilumets das Problem der niedrigen Anzahl der Lehrer, an den russischen Schulen, die estnische Muttersprachler sind, und die Notwendigkeit die estnische Lehrkräfte zusätzlich zu motivieren mit den russischen Kindern zu arbeiten.

Experten meinen, dass die Situation mit den schwachen Kenntnissen der estnischen Sprache zweisprachige Gymnasien und kurzfristige Programme zum Schüler- und Lehrertausch zwischen den russischen und estnischen Schulen lösen können.

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Bekannter estnisch-russischer Publizist Rodion Denissov kommentierte diesen Artikel.

Der Blitz schlug aus dem heiteren Himmel ein. Das Bildungsministerium hat teilweise anerkannt, dass der Übergang der russischen Schulen auf estnische Unterrichtssprache um jeden Preis, keinen Nutzen für die russisch-sprachigen Schüler hat. Werden aus dieser „Jahrhundertentdeckung“ die richtigen Schlüsse für die russischen Schulen gezogen?

Wahrscheinlich war die Situation mit der Ausbildung der russischen Schüler in Fächern in gebrochenen estnischen Sprache für niemanden ein Geheimnis, doch bis jetzt gehörte es sich nicht, darüber öffentlich zu sprechen. Ausserdem musste man die Politik „Der Partei und der Regierung“ erfüllen. Und das tat man auch, ausgehend aus der persönlichen Verdorbenheit bestimmter Beamten und Schuldirektoren. Die Kinder beherrschten nicht die Grundfächer auf dem erforderlichen Level, der Fluchtgeschwindigkeit der Lehrkräfte wuchs, doch die Schulen berichteten über die Einführung von immer neuen Fächern auf Estnisch. Doch, trotz allen Bemühungen erhöhte sich der reale Wissensstand der estnischen Sprache bei den russischen Schülern nicht? Was es der Mühe wert?

Auf eigener Haut

Als ein Elternteil von meinem Sohn, der Schüler ist, bekam ich sämtliche Freuden des Experimentierens mit der Unterrichtssprache hautnah mit.

Zuerst hat man den Schülern der Grundschule vorgeschlagen die Regeln der technischen Arbeitssicherheit im Werkunterricht auf Estnisch zu lernen. In der nächsten Klasse mussten sie das unsterbliche Werk der modernen estnischen Klassik „Kaka ja Kevad“ („Frühling und Scheißhaufen“) detailliert wiedergeben.

Schon in der Grundschule hat man den Schülern im Fach „Menschenkunde“ ein Lehrbuch und ein Arbeitsheft komplett in Estnisch gegeben und sagte: „Kommt damit zurecht, wie ihr wollt! Alle Beschwerden - direkt ins Ministerium!“ Dazu noch ein Arbeitsheft für Erdkunde, auch komplett in Estnisch. Dazu alle Erläuterungen und das Wörterbuch im Lehrbuch für Englisch, wieder in der Staatssprache.

Im Ergebnis haben die Eltern (diejenigen, die wenigsten etwas Estnisch beherrschen) abends eine nützliche Beschäftigung, sie übersetzen nach ihren Möglichkeiten für ihre Kinder die Texte aus den Lehrbüchern und die Aufgaben aus den Arbeitsheften. Die Kinder und die Heranwachsenden sind nicht in der Lage komplizierte Texte in fremden Sprache zu lesen. Man hat das Gefühl, dass das Ministerium auf diese Weise ausser dem eigentlichen politischen Problem, noch gleichzeitig einige andere lösen möchte, endlich die russisch-sprachigen Erwachsenen mit den Schülern zwingen abends die Staatssprache zu lernen, als auch die Ausgaben für die Übersetzung der Schulbüchern ins Russisch zu sparen.

Im Prinzip habe ich nichts gegen das Lernen von Fachwörtern in Estnisch. Davon dass der Schüler wissen wird, dass ein Hammer haamer, der Regenbogen vikerkaar und das Herz süda heisst, gibt es nur Nutzen. Doch muss jede bilinguale Ausbildung einer ausgearbeiteten Methodik folgen, die es an den Schulen nicht gibt. Genauer gesagt es gibt welche, doch entweder nicht ausgearbeitet oder zusammengesetzt aus persönlichen Vorstellungen von konkreten Lehrkräften.

Die Freizeit der Eltern ist ausgefüllt

So kommt es dann, dass der russisch-sprachiger Lehrer während des Unterrichts vor russischen Schülern sich in der estnischen Sprache eins abbricht, oder der estnische Lehrer „in die Leere“ spricht, während die nichtsverstehenden Schüler ihren persönlichen Beschäftigungen nachgehen. Abends bringen die Eltern (diejenigen, die wirklich ihren Kindern gute Ausbildung geben wollen) die fehlenden Kenntnisse aus der Schule bei, dabei mit Wörterbüchern und Nachschlagewerken bewaffnet. Mein Sohn hatte Glück, ich spreche frei Estnisch und habe sogar einen pädagogischen Diplom, doch was sollen die Kinder von Verkäufern, Schweissern und Schustern machen? Ja und warum müssen die Eltern sich mit dem beschäftigen, was die Schule nicht in der Lage zu geben ist? Letztendlich macht für uns niemand die Arbeit, die wir an unserem Arbeitsplatz erledigen sollen.

In der vorhandenen Situation gibt es noch ein nicht unwichtiger Aspekt, über den nicht alle bescheid wissen: wenn im Gymnasium die Proporz des Unterrichts in estnischen und russischen Sprachen vom Gesetz her streng vorgegeben sind, in der Grundschulen gibt es diese Regelung nicht. So sind alle Experimente mit dem Übergang der Fächer auf Estnisch für die Schüler der 1-9 Klassen, eine private Initiative der Schulen, die vom Ministerium zusätzliche Finanzierung bekommen wollen.

Ich bitte mich richtig zu verstehen. Ich trete nicht gegen das Erlernen der estnischen Sprache auf. Das wird kein normerdenkender Mensch in Estland tun. Man muss Estnisch können und man muss es gut können. Doch die Sprache wird nicht verständlicher, wenn man gedankenlos die Regeln des Feuerschutzes oder Benutzeranleitung für Staubsauger auswendig lernt. Für das Erlernen der Sprache braucht man bewährte Lehrmethoden plus gut motivierte Lehrer der estnischen Sprache. Ich würde mir sehr wünschen, wenn man es auch auf dem höchsten Staatslevel verstehen würde.