Dienstag, Juli 30, 2013

Die deutschen Soldaten waren lustig

Am 27. Juli fand im estnischen Ortschaft Sinimäe wieder ein Treffen der ehemaligen Angehörigen der Legionäre der Waffen-SS und ihrer Freunde. Es nahmen ca. 110 Leute teil, wobei die Jugend eindeutig überwog. Ein Mitglied der NGO "Russische Schule Estlands" Oleg Matveev analysierte für das Portal Newsbalt, wie die deutsche Okkupation der baltischen Republik in den estnischen Schulgeschichtsbüchern dargestellt wird.

Diese Publikation ist eine Analyse des Themas deutsche Okkupation Estlands in 1941-1944 in den Geschichtsbüchern, die in den estnischen Schulen laut dem Bildungsprogramm der estnischen Bildungsministerium verpflichtend sind. In meiner Untersuchung möchte ich zeigen, dass dieses Thema nicht neutral behandelt wird, es fehlen die richtigen Quellen (historische Quellen, Augenzeugenberichte). Ich überprüfe auch, ob der Unterrichtsstoff den welt- und europäischen Werten entspricht.

In den Geschichtslehrbüchern für die Schulen des heutigen Estlands variiert die Zahl der getöteten Juden während der Naziherrschaft von 1941 bis 1944. Auch erwecken fast alle Pflicht-lehrmaterialien den falschen Eindruck, dass man die Juden nur im KZ Klooga umgebracht hätte. Doch ist es ein allgemein bekannter Fakt, dass auf dem gesamten estnischen Territorium die Nazis ein ganzes Netz von KZs und Erschiessungsplätzen errichtet haben, so dass man ausser Klooga auch Vaivara, Kalevi-Liiva und Patarei-Gefängnis und andere Orte erwähnen sollte.

Ich stelle fest, dass ein Minimum an Bildung über Holokaust im Lehrprogramm der estnischen Schulen enthalten ist, doch das durchschnittliche Lehrbuch, weiss ausser dem weltbekannten Klooga nichts was Estland betreffen würde.

In allen Lehrbüchern des Autors Lauri Vahtre steht geschrieben, dass nur sehr wenige Esten Juden getötet haben. Wenn man von der gesamten Anzahl der Esten zu diesem Zeitpunkt ausgeht, so sind es wirklich nur wenige. Doch wenn man vom prozentualen Verhältnis der estnischen Schlächter ausgeht, so sieht das Bild weniger rosig aus. Weder die Politik des Stalinismus 1940-1941, weder andere Faktoren können die Ermordung von Tausenden und Abertausenden von Zivilisten eines bestimmten Volkes an irgendeinem Ort in der Welt rechtfertigen. Die Verbrecher haben keine Nationalität, das wurde mehrfach vom Nürnberger Tribunal und der sorgfältigen Arbeit des Zentrums zum Holokaustforschung von Simon Wiesenthal bestätigt. Sehr wenig wird über die Tätigkeit der estnischen Soldaten in Naziuniformen berichtet, die Vorbereitung in Polen durchlaufen haben und in Russland, Polen, Weissrussland und der Ukraine "gefestigt" wurden. Noch viele Jahre müssen vergehen, damit dass, was die Überlebende und ihre Nachkommen über die Grausamkeiten, die diese Verbrecher verübt haben, berichten, öffentlich in estnischen Sprache in Estland veröffentlicht wird. Es ist einfach einen Mythos über irgendwelche Überlegenheit zu erschaffen, doch es ist schwierig ihr wieder zu zerstören...

Im Kapitel 50 des Lehrbuches der Geschichte Estlands für russische Gymnasien unter der Überschrift "Das Leben in Kriegszeiten" vom Autor Lauri Vahtre (2009) gibt es einen Absatz "Die Russen und die Deutschen": "Die russischen Soldaten, die nach Estland aus Russland kamen, haben ein Unbehagen bei dem Durchschnittsesten ausgelöst (in der Variante von 2004 - äußeres Unbehagen). Diese Leute waren arm, schlecht angezogen, sehr verdächtig und gleichzeitig oft sehr fordernd (in der Variante von 2004 ist hinzugefügt, dass "es Leute aus einer anderen Welt waren"). Die Deutschen waren den Esten vertrauter.

Die deutschen Soldaten waren höflich zu der Zivilbevölkerung, oft sogar freundschaftlich. Sie waren lustig und liebten Musik, dort, wo sie sich versammelt haben, klang das Lachen und das Spiel auf Musikinstrumenten.

Man ging oft ins Kino, dabei wurden in den 1940-1941 Jahren während der Kommunistenzeit hauptsächlich sowjetische, propagandistische Filme gezeigt, in der deutschen Zeit hauptsächlich romantische deutsche Produktionen (in der Variante von 2004 auch unterhaltsame)."

Einerseits ist es Fakt, dass aus Berlin die Anordnung kam, freundlich zu der örtlichen Bevölkerung zu sein. Doch andererseits wissen wir ausgezeichnet mit welcher "Höflichkeit und Freundlichkeit" die Nazis und ihre Helfer die örtlichen Juden (in drei Monaten von September bis Dezember 1941 wurden quasi alle in Estland gebliebenen Juden vernichtet, was Hitler den Anlass gab, Estland feierlich als judenfrei zu erklären), Zigeuner, Ischoren und Leute, die nicht mit der Nazidoktrin einverstanden waren, behandelt haben.

Ich verstehe überhaupt nicht, wie an der Frontlinie die deutschen Soldaten "scherzten und Musik gespielt haben". Aus den Dokumentalchroniken haben wir eine etwas andere Vorstellung über die Geschehnisse. Und das wichtigste: Kann sich der Leser dieser Zeilen vorstellen, dass solcher Text in den Schullehrbüchern im heutigen Deutschland, USA oder anderen zivilisierten Ländern dieser Welt erscheinen würde?

Der Vergleich der beiden Nationalitäten, den Russen und den Deutschen, wo der letzte vorteilhaft dargestellt wird, riecht nach Diskriminierung wegen Nationalitätszugehörigkeit und Entfachung des Rassenhasses. Dabei will der Autor offensichtlich nicht verstehen, dass in der Sowjetarmee es auch Esten, Ukrainer, Juden und eine Menge anderer Nationalitäten gegeben hat.

Im Lehrbuch zur Staatsverteidigung für Gymnasien und Berufsschulen, das vom Verteidigungsministerium der Estnischen Republik 2006 herausgegeben wurde, steht dass: "Im Jahr 1944 wurden die Esten umdisponiert, um die Staatsgrenze zu verteidigen. In der deutschen Uniform kämpften für die Unabhängigkeit Estlands insgesamt 80 000 Männer. Vier Esten (Harald Riipalu, Alfons Rebane, Paul Maitla und Harald Nugis bekamen eins der ehrenvollsten Ordens - den Ritterkreuz".

Wie ich später herausfand, beinhaltet die Zahl 80 000 auch die Leute, die an der Front in der Ukraine 1942 und in Schlesien 1945 gekämpft haben. In meinem Verständnis würden diese Leute für die Unabhängigkeit Estlands dann kämpfen, wenn die Wiederherstellung der Souveränität Estlands Hitlers Ziel gewesen wäre. Wir wissen ausgezeichnet, dass das reiner Blödsinn ist, denn es gab keine Rede über eine Marionettenfreiheit oder Eigenstaatlichkeit nach dem Vorbild von Slowakien oder Ungarn. Über welchen Kampf für die Unabhängigkeit konnte die Rede sein, wenn nach den Plänen der Nazis, die auch den Normalsterblichen in Estland bekannt waren, der größte Teil der Esten sollten eingedeutscht werden, die restlichen erwartete eine Verbannung an das Weisse Meer und gar nicht hinter den Peipussee, wie es in einer Reihe der lokalen Lehrbüchern heisst.

Und selbst wenn das entsprechende Lehrbuch für 2011 in zurückhaltenderen Tönen geschrieben wurde, die frühere Fassung wird in mehreren Schulen in ganz Estland genutzt.

Im Lehrbuch 2009 des uns schon bekannten Autors Lauri Vahtre wird unterstrichen, dass "leider die Frontlinie im Juli 1944 vom Süden aus, sich dem Tallinn annäherte". Sie können sich vorstellen, welche Gräueltaten im Klooga noch hätten geschehen können, wenn die sowjetische Armee sich Tallinn im Herbst oder im Winter angenähert hätte. Unter diesen Umständen hätte eine Verzögerung von ein-zwei Tagen zur Katastrophe führen können.

Oft wird in den Lehrbüchern über die Agrarindustrie während der Nazizeit geschrieben. Zum Beispiel im Lehrbuch für Gymnasium "Geschichte Estlands" der Autoren Mati Laura, Ago Pajur, Tõnu Tannberg, 1996, steht geschrieben dass: "In der Agrarwirtschaft wurde für jeden Bauernbetrieb eine Pflichtnorm der Verkaufsmenge eingeführt, die nicht räuberisch oder zerstörerisch war, doch die Bauern animierte den Betrieb zu vergrößern. Oft wurde dieses Ergebnis erreicht, wenn im Jahr 1944 die Ausmasse des Saatgebiete und der eingesammelten Erzeugnisse nur etwas niedriger als vor dem Krieg waren, so was die Anzahl der Nutztiere angeht, so wurden die Vorkriegszahlen übertroffen."

Ähnlich ist der Absatz im Lehrbuch für die 10-te Klasse unter der Überschrift "Industrie und Agrarwirtschaft" von 1992: In drei Jahren der deutschen Okkupation gab es eine Vergrößerung der Anzahl der Nutztiere. Die Anzahl der Pferde vergrößerte sich von März 1942 bis zu Dezember 1943 von 188,1 auf 194,1 Tausend Einheiten, die Anzahl aller Nutztieren vergrößerte sich von 434,7 auf 461 Tausend Einheiten. Das bedeutet, dass die Bauern am Horizont eine Perspektive gesehen haben, andernfalls hätte die Anzahl der Nutztiere sich nicht erhöht. Die Aussaat der Samen für Broterzeugnisse wurde vergrößert".

Die Sache ist, dass die Gründe für solch ein Wachstum nicht erörtert werden. In den Städten wurde ein Couponsystem eingeführt, viele Konsumwaren konnte man monatelang nicht bekommen, so dass die Lebensumstände hat die Städter gezwungen ins Dorf zu den Großeltern zu ziehen. Die Bauern mussten die Produktion ausweiten, denn man soll nicht auch die freiwillig-gezwungene Massnahmen der Naziadministration vergessen, über die man aus den Lehrbüchern nicht erfährt.

Dann wird in den Pflicht-Lehrmaterialien ignoriert, dass solche erfolgreiche agrarwirtschaftliche Ergebnisse nicht zuletzt durch die Zwangsarbeit der Tausenden, wenn nicht Zehntausenden aus der ganzen Europa zusammengetriebenen sowjetischen Kriegsgefangenen, Juden, Andersdenkenden und Vertretern der anderen Bevölkerungsgruppen erreicht wurden. Irgendwarum wird nicht erwähnt, dass die Deutschen auch die estnischen Bauern unter Zwang die Felder bearbeiten und das Vieh aufziehen liessen.

So kann man über die Perspektiven auch eigene, andere als die offiziell in Estland angenommenen Sichtweise machen, dass die Reserven, falls es sie gab, aus rein praktischen Gründen gemacht wurden.

Man sollte anmerken, dass ähnliche Abschnitte auch in neueren Versionen der Lehrbücher anzutreffen sind. Diese Werke werden in der Regel von ein und denselben Leuten geschrieben, so kann man auch in den Varianten aus den Jahren 200x kopierte Textteile antreffen.

Die obengenannten Autoren behaupten überzeugt, dass unter den Deutschen "das Maschinenbau, die Textil- Zellulose und Papierherstellungsindustrie sich entwickelten".

Doch um kurz zu beschreiben auf welche Weise sich diese Industrien sich entwickelt haben, reichte es entweder nicht an Phantasie, oder Quellen, oder Tinte, oder Papier, oder was weiss ich was. Soweit ich weiss wurden die Fabriken komplett ausgelastet, die schon genutzt waren, die zerstörten Fabriken wurden kaum wiederhergestellt, ausser vielleicht in den Arbeitslagern.

Übrigens über die Arbeitslager… Im KZ Klooga sind tatsächlich Wohnbarracken und Schiesspolygonen erhalten geblieben, doch Spuren von Wirtschaftsobjekten aus der Nazizeit fand man auf dem estnischen Staatsgebiet nicht.

Wie bekannt ist, haben diese Wirtschaftszweige unter den Nazis nur im Interesse der Kriegsproduktion des Dritten Reiches gearbeitet. Doch in allen ohne Ausnahme Lehrbüchern wird ein falsches Bild erschaffen, dass die Wirtschaftspolitik der Nazis auch im gewissen Maße für das Wohl Estlands und der Esten gearbeitet hat.

Ich kann nur schwer schätzen, nach wievielen Jahren der Inhalt der estnischen Lehrbücher zu den von mir beleuchteten Themen sich ändern wird. Ich weiss nur eins, dass wenn Estland tatsächlich ein europäisches Land sein möchte, dann muss man vor allem das Bewusstsein der regierenden Elite und ihrer treuen Diener ändern. Dann werden die Geschichtslehrbücher Estlands für die Grundschulen und Gymnasien eher wie die deutsche Geschichtslehrbücher aussehen, die im Geiste der allgemeinmenschlichen Werte geschrieben sind und nicht im Geiste, dass die russischen Soldaten während des letzten Krieges in allen Beziehungen schlechter als die deutschen gewesen sind.

Donnerstag, Juli 11, 2013

Bild der Woche

Der deutsche Präsident Joachim Gauck mit dem estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves im Museum der Okkupation in Tallinn. Mehr über diesen Besuch hier