Samstag, Juli 03, 2010

Welt ohne Faschismus?

Am 22.06.2010 wurde in Kiev eine neue internationale Bewegung gegründet, die sich "Welt ohne Faschismus" nennt. Die Bewegung entstand als Ergebnis von drei Konferenzen, die letztes Jahr in Berlin und dieses Jahr in Riga und Kiev stattfanden. Viele der Leute, die in den Vorstand und Zentralrat der Bewegung gewählt wurden, sind schon bekannt, von anderen hörte ich zum ersten Mal. Für Estland sind es die Hälfte der Bronzenen Vier Maxim Reva und Dmitrij Linter als auch Andrej Zarenkov, der Vorsitzende der Antifaschistischen Bewegung in Estland ist. Für Finnland ist der bekannte Estland-Kritiker Johan Bekman von der Partie, für Italien Giulietto Chiesa, für Lettland die Mitglieder des Lettisches Antifaschisitschen Komitees Iosif Koren, Boris Zilevitsch, für Russland ua. Modest Kolerov, Dmitrij Kondraschow, für Israel unter anderem der Leiter des Wiesenthal-Zentrums Efraim Zuroff. Deutschland wird von Annelies Oeschger, Dmitirij Feldmann und Clemens Heni im Zentralrat vertreten sein. Die drei Namen der Deutschen Abgeordneten waren mir komplett unbekannt (gut, ich kann nicht behaupten, dass ich mich in der deutschen AntiFa-Szene sehr gut auskenne), doch eine kurze Internet-Recherche zeigte, dass Frau Oeschger Präsidentin der Konferenz der NGOs im Europarat, Herr Feldmann ein ambitionierter Verleger von russisch-sprachigen Zeitungen in Deutschland und Dr.phil Clemens Heni ein recht kontrovers diskutierter Publizist ist, dessen Hauptthese die absolute Einmaligkeit des Holocausts zu sein scheint, so dass der türkische Genozid an Armeniern oder der Völkermord in ehemaligen Jugoslawien nicht auch entfernt damit in Verbindung gebracht werden können. Aus diesem Grund ist jede Israel-Kritik mit Antisemitismus gleichzusetzen.

Die Ziele der Bewegung hat der Vorsitzende des Rates Boris Spiegel, der auch der Vorsitzende des Kongresses der russisch-sprachigen Juden ist, in seiner Rede benannt:

1. Sammlung von Information über Organisationen, die als faschistisch oder nazistisch angesehen werden

2. Monitoring von Geschehnissen und Ereignissen, die als Aufflammen des Faschismus gewertet werden können

3. Erklärung der eigener Position gegenüber der breiten Gesellschaft bezüglich der Wiedergeburt des Faschismus in der Welt

4. Massenveranstaltungen (unter anderem Konzerte), um die öffentliche Meinung auf das Problem zu lenken

5. Proteste gegen öffentliche Veranstaltungen der Neonazis und neofaschistischen Organisationen

6. Informative Bekanntmachung eigenen Tätigkeit in Massenmedien inklusive Internet, Anfertigung und Verbreitung von Flyern und Broschüren, informationelle Gegentätigkeit gegenüber den Neofaschisten.

7. Werbung der neuen Mitglieder, vor allem Jugend und Jugendorganisationen

Die Schwerpunkte sollen auf folgende Punkte gelegt werden:

1. Durchführung der Denazifizierung in den Ländern der Zentral- und Osteuropa, wo sie in den Nachkriegsjahren nicht durchgeführt wurde oder in solchen, wo sie als fehlerhaft angenommen wurde.

2. Widerstand gegenüber der Heroisierung des Nazismus, den Naziverbrechern und ihrer Unterstützern, Widerstand den Versuchen gegenüber die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu revidieren

3. Widerstand gegenüber der Holocaustleugnung, was als eines der schlimmsten Zeichen der Revision der Geschichte des Krieges und Heroisierung des Nazismus gilt

4. Schutz der Rechte der nationalen, religiösen und kulturellen Minderheiten, denn der Grundstein ihrer Diskriminierung sind in der Regel historische Mythen, die mit der Revision der Geschichte zusammenhängen.

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Grundsätzlich ist gegen eine solche Bewegung kaum was zu sagen. Allerdings gibt es einige Punkte, die ich anmerken möchte, die mich bei dieser Bewegung misstrauisch stimmen.

Die Auslegung des Begriffes Antifaschismus ist in dem Programm sehr osteuropäisch und russisch. Ein deutscher oder allgemein westeuropäischer Antifaschist sieht seine Tätigkeit auf anderen Feldern und kritisiert andere Missstände als die osteuropäischen Teilnehmer der Konferenz. Die Begriffe wie Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit kommen als Ziele gar nicht vor. Kampf um Rechte von Flüchtlingen wird nur unter ferner liefen bezeichnet. Dagegen werden Themen genannt, die von der westeuropäischen Antifa längst als abgehackt betrachtet werden dürfen. Denazifizierung ist seit den 60ern Jahren kein grosses Thema mehr, die grossen Prozesse gegen die Naziverbrecher sind lange vorbei, Demjanuk-Prozess ist die Ausnahme von der Regel. Die zuverlässigste Methode seine Karriere zu beenden ist es ein Nazivergleich zu machen oder am Holocaust zu zweifeln, den Rest erledigt die Presse und die öffentliche Meinung. Die Revision der Geschichte ist nur ein Thema für Skandalhistoriker, die unbedingt provozieren wollen. Deswegen denke ist, dass trotz der Internationalität der Bewegung, die westlichen und östlichen Antifaschisten aneinander vorbeireden werden. Während ein westlicher Antifaschist mit Recht auf die unhaltbaren Zustände in Russland und Israel hinweisen wird, wo Nationalismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Nichtachtung der Rechte der Flüchtlinge an der Tagesordnung sind, ist es für einen osteuropäischen Antifaschisten kein Thema, viele der Vertreter aus den baltischen Ländern und Russland haben in ihren Artikeln ihren postimperialen Schmerz zur Schau gestellt, als die baltischen Länder noch Teile von Russland oder Sowjetunion waren. Für einen westeuropäischen Antifaschisten ist der Bezug auf den zweiten Weltkrieg für sein Handeln eher nebensächlich, während es für einen osteuropäischen Antifa-Mitglied der zentrale Beweggrund ist.

Es ist fraglich inwiefern die Zusammensetzung des Zentralrates bei der Erreichung der Ziele in den einzelnen Ländern behilflich sein wird. Estland und Lettland werden von keinem einzigen Esten oder Letten vertreten, sondern nur von Mitgliedern der russischen und jüdischen Gemeinden. Deutsche Vertreter sind entweder komplett unbekannt oder vertreten eher die osteuropäische Auslegung des Antifaschismus. Deswegen ist es eher zweifelhaft, wie konkret Denazifizierung stattfinden soll, wie man den Kampf um die öffentliche Meinung gewinnt, wenn die Hauptinformationskanäle allein schon wegen der Kommunikationsprache verschlossen sind und sich nur auf eigene Gemeinde richten. Während der Lettische Antifaschistische Komitee noch einigen Renommee besitzt, ist Notchnoj Dozor als Organisation tot. In Deutschland stehen weder hinter Herr Heni noch Herr Feldman irgendeine Organisation auf die sie für die Verwirklichung der Ziele der Bewegung zugreifen könnten.

Aus obengenannten Gründen bezweifle ich, dass die Bewegung "Die Welt ohne Faschismus" bei ihrer Zielgruppe größere Wirkung haben wird, obwohl eine starke Antifa-Bewegung in Osteuropa nur zu begrüßen wäre.

3 Kommentare:

CH hat gesagt…

Ich habe auf dieser Konferenz in Kiev einen kurzen Vortrag gehalten. Ich bin aber nirgendwo Mitglied bie dieser Organisation, woher haben Sie diese Falschaussage? Löschen Sie das bitte, da es eine falsche Tatsachenbehauptung ist.
CH

kloty hat gesagt…

Ich schätze Sie sind Clemens Heni aufgrund Ihrer Initiale. Meine Behauptungen habe ich von hier: hier. Falls diese Behauptung nicht stimmt, werde ich sie umgehend löschen.

Mit freundlichen Grüssen,

kloty

Schirren hat gesagt…

deiner Darstellung der Unterschiede zwischen Antifaschisten in West- und Osteuropa stimme ich zu. Während westliche Linke (um mal noch eine Stufe allgemeiner zu werden) nicht selten dazu neigen, die Rolle der Sowjetunion im II WK herunterzuspielen und die Sowjetunion (und das heutige Rußland) vor allem als autoritär kritisieren, sind östliche (vor allem russische) Antifaschisten vor allem daran interessiert, die UdSSR zu glorifizieren. Manche dieser Antifaschisten sind sogar ziemlich rassistisch.

Ich habe hier ja schon öfters gesagt, daß ich den Begriff "Antifaschismus" problematisch finde. Vielen, die sich unter dieser Fahne versammeln geht es weniger um den Kampf gegen Nazis als vielmehr darum, ihren eigenen Gegnern das Schandmal "Faschismus" aufzudrücken. Russophobe Kreise nennen Putin und sein Regime "faschistisch", manche deutsche Linksextreme nennen die moderne deutsche Gesellschaft so, der Kreml assoziiert die ehemaligen Republiken, die sich dem russischen Einfluß entziehen wollen, mit diesem Etikett.

Mit dem Kampf gegen Nazis hat das alles nur wenig zu tun. Wer sich wirklich in dieser Richtung engagiert, riskiert viel mehr als einer, der nur seinen Buhmann als Hitlers Widergänger abwatscht.

Darum frage ich mich, ob solche Konferenzen sinnvoll sind.