Mittwoch, Dezember 23, 2009

Das war 2009

Auch dieses Jahr war für Estland ein sehr schwieriges Jahr. Die offizielle Rate der Arbeitslosigkeit ist auf 13% gestiegen, inoffiziell (also mit Berücksichtigung der arbeitsfähigen Bevölkerung, die in der offiziellen Statistik nicht auftaucht, da sie keine Arbeitslosenhilfe mehr bezieht) dürfte die Arbeitslosenrate eher bei 16-18% liegen. Viele Leute bekommen überhaupt keine Unterstützung und sind auf Schwarzarbeit oder die Hilfe der Freunde/Verwandte angewiesen. Wie ich mich selbst überzeugen konnte, kehren die 90-er Jahre zurück, mit organisierten Banden, mit Dächern (also Schutzgelderpressung), mit erhöhtem Konsum harten Drogen und allgemein hohen Kriminalitätsraten. Die lautesten Kriminalfälle waren zweifellos die Entführung der Arctic Sea, wobei bis heute nicht klar ist, was da eigentlich geschah und die Enttarnung von Hermann Simm, der viele wichtige NATO-Dokumente an Russland weitergab.

Die Wirtschaft stürzte um voraussichtlich 16% ab, Industrieaufträge um 20%, Wohnungspreise um bis zu 50%. Überall stehen leere Wohnungen, die entweder nicht verkauft werden konnten oder die, die Eigentümer sich nicht mehr leisten konnten. Viele Arbeitssuchende wandern aus, in der Hoffnung im Ausland eine Arbeit zu finden.

Es gab zwei Wahlen, die nichts geändert haben, eins für Europaparlament, bei der der absolute Gewinner der Populist Indrek Tarand geworden ist und Kommunalwahlen, die die Zentrumspartei zwar gewonnen hat, doch die keinerlei sichtbare Auswirkungen auf die Landespolitik hatte, man kann sie höchstens als Vorlage für die nächsten Landeswahlen sehen, die erst in zwei Jahren stattfinden werden. Die Koalition mit Sozialdemokraten ist zwar zerbrochen und die konservativ-liberale Regierung regiert in der Minderheit, doch sitzt der estnische Ministerpräsident Andrus Ansip immer noch erstaunlich fest im Sattel.

Die Politik des vergangenen Jahres hatte nur ein Ziel: die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, um im Jahr 2011 Euro in Estland einführen zu können. Im Namen des Euros wurden mehrmals Budgetkürzungen durchgeführt, es gab keinerlei staatlichen Beihilfen weder für die Unternehmen, noch für die Bevölkerung. Im Gegenteil wurden die Bemühungen der Stadt Tallinn arbeitslosen Menschen soziale Arbeitsplätze zu vermitteln von Ansip als menschenunwürdig bezeichnet. Eins muss man der Regierung lassen, inzwischen ist es sogar vorstellbar, dass die harten Kriterien zur Euro-Einführung von Estland erfüllt werden, die Inflation ist sehr niedrig, dank rigoroser Sparmassnahmen liegt die Neuverschuldung unter 3% und Staatsschulden sind mit die niedrigsten in EU. Doch jetzt stellt sich die Frage, ob die Euro-Gemeinschaft reif dafür ist neue Mitglieder aufzunehmen, denn mit den alten Mitgliedern wie Griechenland gibt es mehr als genug Ärger. Solange man diese Brandherde nicht unter Kontrolle bekommt, ist es zweifelhaft, dass neue Mitglieder aufgenommen werden.

Der Zustand der russisch-sprachigen Gemeinde in Estland ist nur als jämmerlich zu bezeichnen. Die Versuche bei den Wahlen zu punkten, endeten für Klenski mit massiver, Niederlage. Die Zentristen haben geschafft die Stimmen der russisch-sprachigen Bevölkerung auf sich zu vereinen, obwohl die meisten Kommentatoren sich einig sind, dass die Zentristen die Interessen der russisch-sprachigen Bevölkerung kaum vertreten. Notchnoj Dozor ist im desolaten Zustand, die einzige positive Nachricht war, dass die Bronzenen Vier von allen Vorwürfen der Anklage freigesprochen wurden. Als Reaktion darauf wurden schärfere Gesetze der sogenannte "Bronzene Paket" verabschiedet, damit solche Freisprüche in der Zukunft nicht mehr passieren. Schlimm steht es auch um die russisch-sprachigen Massenmedien, mehrere Zeitungen wurden geschlossen und existieren als Online-Ausgaben weiter, wobei die Qualität noch weiter gesunken ist.

Die KAPO wütete auch dieses Jahr unter den Andersdenkenden. Die Blogger Irja und Inno Tähismaa wurden drangsaliert, der goldene Soldat der Künstlerin Kristina Norman wurde entfernt, der Sänger Sergej Baj wurde für sein Lied vorgeladen, Aleksej Semjonov's Zentrum für Menschenrechte wird zwar offiziell nicht als feindliche Institution eingestuft, jedoch ist Kontakt den Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender mit ihm untersagt worden.

Aussenpolitisch hat sich nicht sonderlich viel verändert. Baltische Staaten, Ukraine und Georgien fahren mit ihren russlandfeindlichen Politik fort, werden aber nicht mehr sonderlich ernst genommen, wenn es um wirtschaftliche Interessen geht, wie Genehmigung für die Gaspipeline Nordstream und bevorstehender Verkauf von Hubschrauberträger Mistral von Frankreich an Russland zeigen. Langsam formiert sich Protest gegen die veränderte Geschichtsauslegung der baltischen Staaten und Ukraine seitens der jüdischen Organisationen, die Holocaust als singuläres Ereignis definiert haben wollen und keine Vergleiche mit Stalinismus erlauben.

Was bringt 2010? Es wird wieder sehr anstrengendes Jahr sein, falls das Ziel der Euroeinführung beibehalten wird. Die Arbeitslosenzahlen werden kaum sinken, denn die Investoren haben sich schon einmal die Finger verbrannt und kommen nicht so schnell wieder, ausserdem ist die Binnennachfrage wegen Überschuldung und Angst vor Arbeitslosigkeit niedrig und wichtige Exportmärkte entweder wirtschaftlich unattraktiv wegen hohem Wechselkurs zwischen estnischen Krone und bspw. schwedischen Krone, oder politisch geschlossen wie in Russland. Wahrscheinlich werden immer mehr russisch-sprachige Schulen geschlossen, was Proteste der russisch-sprachigen Bevölkerung hervorrufen könnte. Durch das Anziehen der Weltwirtschaft und dementsprechend höheren Ölpreisen wird Russland wieder stärker und wird wieder Grossmachtfantasien ausleben, was Esten gar nicht recht sein wird. Und mit hohen Wahrscheinlichkeit werden mehr Esten auswandern, wenn in anderen Ländern wieder Arbeitsplätze geben wird.

Nichtsdestotrotz wünsche ich meinen Lesern frohe Weihnachten und ein glückliches Neues Jahr. Vielen Dank, dass ihr mein Blog liest und kommentiert, ich weiss es sehr zu schätzen.

Euer kloty

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