Samstag, Oktober 24, 2009

Russen und ihre Glaubwürdigkeit nach der Kommunalwahl in Estland

Hier ist ein Bericht von Klaus Dornemann, der an der Kommunalwahl in Estland für Klenskij Liste - Russischer Zentrum teilgenommen hat und 68 Stimmen bekam. Bericht ist komplett unverändert.

Nun ist die mit Spannung erwartete Kommunalwahl in Estland mit einem beschämenden Ergebnis für den russischen Bevölkerungsteil zuende gegangen.
Savisaar, Ansip aber auch Pihl sind die klaren Gewinner. Für die estnischen Wähler war das klar, lieben sie doch populistisches Gehabe. Für die Russen aber ist das Ergebnis höchst beschämend, lamentierten sie doch unaufhörlich und lautstark gegen massive Diskriminierung und sonstige Benachteiligung, gerade und besonders durch die faschistoide Politik wie sie sagen, vornehmlich unter der Führung der drei genannten.
Aber warum nenne ich das so beschämend?

Das ist ganz einfach zu beantworten, denn in großem Maße müssen die „Benachteiligten“ just diejenigen, die sie dieser Tat beschuldigen, gewählt haben. Und das ist auch tatsächlich so gewesen. Nun werden sie sicherlich bezweifeln, daß ich das so behaupten kann, aber ich kann es! Von vielen weiß ich, wie sie gewählt haben, durch Selbstverrat.
Ich war offizieller Wahlbeobachter und habe mich in acht der 17 Tallinner Wahllokalen den ganzen Tag über aufgehalten und konnte eben die erwähnten Beobachtungen überall ähnlich machen.
Eine überwiegende Zahl der Wähler betrat das Wahllokal, holte sich seinen Wahlschein gegen Vorlage der vorgeschriebenen Papiere, von denen auffällig viele graue Pässe waren und diejenigen, die diese Dokumente vorlegten, sprachen seltsamer Weise russisch.
Mit ihren Zetteln in der Hand gingen sie nun zu einem Aushang, wo die Wählbaren Kandidaten mit deren Wahlnummern verzeichnet waren, geordnet nach Parteien oder Gruppen. Wie es nun menschlich ist, fuhren sie ausnahmslos, besonders eindringlich wenn sie mit Partnern da waren, mit ihren Fingern oder einem Stift die Namensliste ab bis zu ihrem Favoriten, manchmal auch weiter, dann aber wieder zurück und gingen dann in die Wahlkabine. Wollen sie mir dabei glauben machen, die hätten absichtlich einen falschen Aspiranten angezeigt, um nichtbemerkte Zuschauer zu täuschen?
Nun hab ich es mir auch nicht nehmen lassen, auch in einem Wahllokal bei der Auszählung der Stimmzettel dabei zu sein. Als dann alle Zettel, schön zu Häuflein nach Wahlnummern sortiert auf den Tischen in einem großen Raum verteilt lagen, konnte ich schon von weitem meine tagsüber gemachten Beobachtungen bestätigt finden.
Und wie sah das aus. Die meisten Stimmen auch innerhalb der Parteien hatten die größten Populisten. Ich nenne jetzt mal absichtlich keine Namen. Und viele in der selben Partei bekamen überhaupt keine eine Stimme. Das war in dem Wahlbezirk etwa die Hälfte.
Nun wohne ich in einer Gegend mit, vornehmlich, Russen zusammen. Alle Beobachtungen zusammengenommen lassen nur den einen Schluß zu, auch die Russen haben in Mehrheit die vier Parteien Keskerakond, Reformirakond, Vaterlands- und Res Publikaunion und Sotsiaaldemokraten gewählt, eben genau jene, denen sie übelst nachreden und sie der Diskriminierung beschuldigen.



All jene aber, die eine besondere Beachtung russischer Belange in ihrem Programm hatten, bekamen widersinnigerweise von denen garkeine Chance, angefangen von den Grünen bis hin zur Tallinner Statdpartei.
Nach dieser Erfahrung sollte man dem Gejammer über Ungerechtigkeiten zukünftig kein Gehör mehr schenken, allenfalls darüber lachen, denn es ist gelogen. Nach dem Wahlergebnis sind sie mit den Politikern und deren Politik voll und ganz zufrieden. Gefährliche Einsätze wie ich sie mir geleistet habe sind also vergebene Liebesmüh und sinnlos, vielleicht sogar einfältig. Verdient haben sie es nicht.

Du bemerkst sicherlich meine Bitternis. Die aber ist ehrlich und erschreckend zugleich, mußte ich mich doch einer großen Erkenntnis beugen.

Mittwoch, Oktober 21, 2009

Blogs gehen, Blogs kommen…

nachdem ich meine Linkliste durchgeschaut habe, musste ich feststellen, dass viele Blogs und Portale auf die ich verweise, inzwischen nicht mehr existieren. Deswegen In perpetuam memoriam:

Nachrichtenseite Kalev - Opfer der Finanzkrise

Knut's Blog - Knut, der inzwischen zu einem guten Freund geworden ist, fing hoffnungsvoll an, verlor relativ schnell die Lust und ist hauptsächlich auf Online-Foren wie www.bbn.ee unterwegs

Эстония в мировых СМИ - der Inhaber diesen Blogs hat innerhalb von 4 Jahren 745 Artikel! aus verschiedenen internationalen Zeitungen ins Russische übersetzt

How Sick is the World Actually von meinem ehmaligen Klassenkameraden Anton hielt 11 Artikel lang, danach hat er Zeit und Lust verloren

Wie man sieht, braucht mal als freiwilliger, unbezahlter Blogger langen Atem, nicht zu viel Engagement, um nicht auszubrennen, und immer wieder neue Ideen für Artikel, die eventuell auch von jemandem gelesen werden. Uns natürlich sehr viel Idealismus gehört auch dazu.

In diesem Sinne begrüße ich Skipppy mit seinem sehr interessanten Blog Von Masuren nach Tallinn. Skipppy macht ein freiwilliges soziales Jahr in Tallinn und hat dort mit Kindern aus armen Familien zu tun. Die vorhandenen Artikel zeigen eine Seite von Estland, die noch niemand beschrieben hat. Deswegen, Skipppy, weiter so.

Dienstag, Oktober 20, 2009

Kommunalwahlen oder Sturmlauf eines Nashorns

Letztes Wochenende fanden in Estland die Kommunalwahlen statt. Die Ergebnisse für die ersten drei Parteien sehen estlandweit wie folgt aus: 31,5% Zentristen, Reformpartei 16,7%, IRL 13,9%. Doch natürlich ist der Hauptgewinn die Mehrheit im Stadtrat von Tallinn. Da sieht es folgendermassen aus: Zentristen 54%, Reformpartei 17%, IRL 15%, Sozialdemokraten 10%. Zum Vergleich noch Ergebnisse aus mehrheitlich russisch-sprachigen Narva: Zentristen 77%, "Neue Narva" 8%, "Petersplatz" 6%, Block von Jüri Mischin 5%. Estnisch-sprachige Tartu sieht folgendermassen aus: Reformisten 31%, IRL 24%, Zentristen 17%, Sozialdemokraten 16%, Volksunion 5%. Es wurden zwei Rekorde aufgestellt, eine sehr hohe Wahlbeteiligung von 60% und Edgar Savisaar, der in Lasnamäe sich aufgestellt hat, bekam 38 978 Stimmen.

Aus diesen Zahlen wird klar, dass der russisch-sprachige Wähler die Wahlen ganz massgeblich beeinflusst hat. Zur Erinnerung, bei den Kommunalwahlen dürfen alle Einwohner des Landes wählen also auch russländische Staatsbürger und Staatenlose. Im Vorfeld der Wahlen wurde von den rechten Parteien versucht, genau diese Befürchtung in Wahlpropaganda umzumünzen, nach dem Motto, die Fremdlinge bestimmen wer der nächste Präsident des Landes werden wird, denn der Sieger bei diesen Wahlen wird als heisser Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr gehandelt. Savisaar hat seine Kandidatur tatsächlich nicht ausgeschlossen, doch dazu später mehr.

Bevor wir uns näher mit den Auswirkungen des Sieges der Zentristen beschäftigen, noch ein paar Worte zu den mono-ethnischen russischen Parteien. In Tallinn sind zwei Blöcke angetreten, das "Russische Linke Bündnis - Unsere Stadt", das in Tallinn 0,2% der Stimmen bekommen hat, doch in Maardu und Kallaste die Mehrheit erhalten bzw. gewinnen konnte und die "Klenski Liste - Russisches Zentrum" unter Führung von Dmitri Klenski, die 1,2% der Stimmen bekommen hat. Für seine Liste hat Klenski in Eiltempo die im Zusammenhang mit den Bronzenen Nächten mehr oder weniger bekannte Leute, wie Maksim Demidov, Larissa Neschadimova, Klaus Dornemann, Mark Syrik und andere zusammengetrommelt, manche Spötter sprachen schon von hitlerschen Volksfront, jeder der imstande ist ein Gewehr zu halten, solle antreten (wurde von besonders ironiebefreiten Leuten nicht verstanden), das Wahlprogramm war sehr gemeinschaftorientiert, wobei ich bezweifle, dass viele Wähler das Wahlprogramm überhaupt zu lesen bekamen. Die Befürchtungen, dass diese Bündnisse wertvolle Prozente der Stimmen den Zentristen abjagen könnten, haben sich überhaupt nicht bewahrheitet, ein russischer Bürgermeister in Tallinn alá Riga ist absolut unvorstellbar.

Doch nun zu den Auswirkungen der Wahlen auf die politische Landschaft Estlands. Mart Laar hat schon im Interview angekündigt, sich mehr um die russisch-sprachige Wählerschaft zu kümmern. Wie er das machen möchte bleibt rätselhaft, den Laar gilt als einer der größten Russland-Feinde und Georgien-Freunde, was bei der russisch-sprachigen Bevölkerung keine Sympatie-Punkte einbringt. Die Zentristen haben dagegen ein strategisches Bündnis mit "Einiges Russland" geschlossen, Savisaar besuchte medienwirksam Moskau und traf sich mit dem Bürgermeister Luzhkov. Doch gleichzeitig ist diese Stärke der Zentrums-Partei ihre größte Schwäche. Wie man an den Ergebnissen in Tartu sieht, fühlen sich viele Esten verpflichtet, alleine deswegen die Reformpartei oder IRL zu wählen, um die Herrschaft der Zentristen zu verhindern, denn diese Partei wird in Zusammenhang mit Russland und russisch-sprachigen Wählern und Politikern gebracht, die angeblich die Macht in der Partei an sich reissen könnten. Kaum eine andere Partei möchte mit Zentristen koalieren. Deswegen bietet die Zentrumspartei trotz möglicher Alleinregierung im Tallinner Stadtrat eine Koalition den Sozialdemokraten an, um im Riikogu bei den nächsten Wahlen eine Koalitionsmöglichkeit zu haben. Die Strategie ist riskant für beide Parteien, denn der Vorsitzende der Sozialdemokraten Jüri Pihl ist bei der russisch-sprachigen Wählerschaft sehr unbeliebt, da er einerseits einer der Hauptverantwortlichen der Polizeibrutalität während der Bronzenen Nächte gewesen war, und andererseits es hartnäckige Gerüchte gibt, dass "Onkel Jüri" während der Sowjetzeit sehr eng mit KGB gearbeitet haben soll (Die Esten scheint dieser Umstand nicht sonderlich zu stören). Andererseits könnten die Sozialdemokraten einen Teil ihrer Wählerschaft verlieren, die nicht will, dass durch sie die Zentristen an die Macht in Estnischen Republik kommen. Doch eine andere Variante ist kaum möglich, eine Wiederholung der Koalition zwischen Reformpartei und Zentristen scheint nicht möglich, da die Vorstellungen über die Wirtschaft und Soziales in Zeit der Krise komplett entgegengesetzt sind. Die Grünen und die Volksunion scheinen zu schwach, um als Koalitionspartner sich anzubieten.

Eine andere Stärke der Zentrumspartei, die gleichzeitig die grosse Schwäche ist, das ist Edgar Savisaar, Verkörperung des Maskottchens der Partei, eines Nashorns, seit bald 20 Jahren der Vorsitzende der Partei, dagegen erscheint selbst Helmut Kohl als frischer Jüngling. Savisaar ist zwar der erfahrenste Politiker Estlands, doch eine Erneuerung der Partei ist dringend nötig. Savisaar ist aber der populärster Politiker und die Seele der Partei. Bei allen Wahlen ist er der Spitzenkandidat, ob es Wahlen in Europäisches Parlament sind, oder in Riikogu, oder jetzt bei den Kommunalwahlen oder demnächst wohl bei den Präsidentschaftswahlen. Einige Wählerschichten, insbesondere Rentner wählen nicht die Zentristen, sie wählen Savisaar. Deswegen sollte Savisaar wirklich Präsident werden, kann er sich nicht mehr für andere Wahlen aufstellen, deswegen ist die Gefahr, dass Zentristen führerlos werden und untergehen. Dasselbe kann passieren, falls er altersbedingt abtritt. Wie nach Ära Kohl in der CDU, wird es grosse Turbulenzen geben und es ist nicht klar, ob die Partei dem gewachsen ist. Es wäre sehr ratsam für ihn, bereits jetzt die Übergabe vorzubereiten, was ich mir aufgrund seines übergrossen Egos (das eigentlich allen estnischen Spitzenkandidaten eigen ist) nicht vorstellen kann.

Wie geht es weiter in Estland? Ich bezweifle stark, dass das Wahlergebnis viel an der Politik von Riikogu ändern wird. Die Minderheitsregierung aus Reformpartei und IRL wird sich von dem Erstarken der Zentristen kaum beeindrucken lassen. Recht wahrscheinlich kommen jetzt nach den Wahlen unangenehme Wahrheiten auf den Tisch, was die estnische Wirtschaft, Staatshaushalt, EURO-Einführung und weitere Sparmassnahmen angeht. Der Ministerpräsident Andrus Ansip hat schon durchblicken lassen, dass er niemals die EURO-Einführung zum Jahr 2011 versprochen hatte, er versprach lediglich alles dafür zu unternehmen, dass der EURO 2011 eingeführt wird, das es nicht geklappt hat, hängt nicht von ihm ab. Nicht, dass dieser Spruch besonders unerwartet kam, er wird lediglich die Sammlung ähnlicher Ansip-Sprüche vervollständigen. Die Sparmassnahmen und der Haushalt 2010 werden wahrscheinlich mit Hilfe von Grünen durchgebracht. Vorgezogene Parlamentswahlen erwarte ich nicht, aus obenerwähnten Gründen, wird Zentrumspartei nicht in der Lage sein, ein Misstrauensvotum durchzubringen, um die Regierung aufzulösen und Neuwahlen zu erzwingen.