Sonntag, Mai 17, 2009

Der goldene Soldat

nachfolgendes ist eine Übersetzung des Artikels aus Eesti Päevaleht.

Hiermit bezeuge ich, dass ich, Kristina Norman, eine Künstlerin bin und nur in poetischen Zielen handle. Ich vertrete nicht Interessen von keiner politischen Organisation und habe mit meiner künstlerischen Tätigkeit kein Gesetz der Estnischen Republik verbrochen.

Das Ziel meiner Tätigkeit ist die Annäherung zwei der größten Gemeinden Estlands, ein Aufruf zum Dialog. Das, was ich als Künstlerin mache, ist vom Glauben inspiriert, dass alle Einwohner Estlands im Einklang mit der Verfassung ihre nationale und kulturelle Identität ausdrücken dürfen. Als Künstlerin benutze ich das Recht zur Selbstentfaltung, die in der demokratischen Ordnung des Staates garantiert ist (Artikel 45 der Verfassung der Estnischen Republik: jeder hat das Recht seine Ideen, Meinungen, Überzeugungen und andere Information in Wörtern, publizistisch, visualisiert oder auf andere Art und Weise frei verbreiten).

Mein Projekt des estnischen Pavillons auf der 53-sten Biennale in Venedig "After-War" ist auf die Kultur der russisch-sprachigen Bevölkerung Estland und verschiedene kulturelle Bräuche orientiert. Auf der Ausstellung ist es geplant eine ganze Umgebung bestehend aus Video, Foto und Objekten herzustellen, die sich auf fünf räumliche Situationen bezieht. Zum Beispiel kann man eine Dokumentation sehen, wie das Verhaltensmodel in der Nähe des Monuments des Bronzenen Soldaten sich durch die Zeit ändert - von der Eröffnung des Monuments im Jahr 1947, bis zum heutigen Tag, wenn das Denkmal eine andere geografische Lage hat. Der Hauptakzent liegt darauf, dass beim Machtwechsel, die Rituale, die früher offiziell bestimmt wurden, durch ein spontanes körperliches Gedächtnis ausgeübt werden, sie wurden zu Ritualen durch Trägheitsmoment. Auch weise ich auf die Mehrdeutigkeit der Figur des Bronzenen Soldaten hin - darauf, dass dieses Monument verschiedene Bedeutung für Gemeinden mit verschiedenem Gedächtnis hat.

Position des Künstlers

Meiner nationalen Herkunft folgend, positioniere ich mich zwischen die beide Gemeinden. Aus diesem Standpunkt heraus handle ich wie eine Künstlerin und untersuche die jüngste Vergangenheit der estnischen Gesellschaft von der Position einen unabhängigen Anthropologen aus. Eine besondere Aufmerksamkeit schenke ich der Problematik des Heiligen und des Profanen, was in der herrschenden gesellschaftlichen und politischen Situation mehr als gerechtfertigt ist. Denn man muss über zwei verschiedene kulturelle Modelle sprechen, denen unterschiedliche Werte eigen sind und ihre Interpretation. Dies beinhaltet auch das Verständnis dessen, was heilig ist. Auf der Grundlage der durchgeführten Untersuchung kann ich behaupten, dass von der Position vieler unseren Compatrioten ausgehend, war die Relokation des Bronzenen Soldaten von Tõnismägi vor zwei Jahren eine Schändung des Heiligtums, d.h. Profanierung. Dabei muss ich unterstreichen, dass es nicht der Fakt der Relokation selbst war, sondern die Art, wie sie gemacht wurde.

Jetzt kann man auf Tõnismägi sehen, dass die Leute, den Ort zu resakralisieren versuchen, der durch die Regierung profaniert wurde. Sie versammeln sich auf diesem wichtigen Platz und tun die gewohnten Dinge: bringen Blumen, Kerzen, machen zusammen Fotos. Festigen ihre Einigkeit. Zu meiner Position zurückkehrend, erkläre ich den Namen der Exposition "After-War".

Sie zeigt auf die Situation, wenn der Krieg vorbei ist, doch der Konflikt weitergeht. In dem Zustand der Polarisierung der Gesellschaft wird eine eindeutige Wahl der Seite des Konfliktes verlangt. Ich verweigere mich dieser Wahl. Erstens kann ich das dank meiner Herkunft nicht tun: ich wurde in einer zweisprachigen Familie geboren. Zweitens denke ich nicht, dass ich oder jemand anders diese Wahl treffen sollte. Es ist jetzt kein Krieg, so das jeder Gefolgschaft wählen muss. Ich glaube, dass man in der Estnischen Republik leben kann, ohne eine Seite wählen zu müssen.

Poetischer Auftritt

Das was am 9.Mai geschah, war mein poetischer Auftritt: Ich habe das Unsichtbare sichtbar gemacht, habe zur allgemeinen Ansicht das herausgetragen, was im Schatten gewesen war. Habe visualisiert (wiederum, aufgrund meiner langjährigen Beobachtungen) die Bedeutung dieser Leere, die sich auf Tõnismägi nach der Relokation des Monuments gebildet hat, das jahrelang an diesen Platz gehörte.

Zum Objekt der Visualisierung wurde eine goldene Skulptur, die dem Bronzenen Soldaten ähnelt. Die Zeit und den Ort der Aktion habe ich in Übereinstimmung mit meiner Position als Künstlerin gewählt. Die ganze Aktion ist ein Teil meiner künstlerischen Exposition in Venedig, die man nur nach der Eröffnung der Ausstellung bewerten kann. Die goldene Figur, die ich nach Tõnismägi mitgebracht habe, ist eine im Inneren leere Skulptur aus leichtem Material, die mit Goldstaub bedeckt ist. Mein Ziel war, sich neben der Skulptur zu stellen und Gedanken mit Leuten auszutauschen, über die Deutung, die von dieser goldenen Figur vermittelt wird. Und das dazu, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, in ihren Worten die Unterschiede der Deutungen auszudrücken: was ist der Unterschied zwischen der goldenen Skulptur und dem sich hier früher befindenden "Monumenten des Befreiers". Meine ganze Tätigkeit habe ich als eine Videodokumentation aus den Meinungen unterschiedlichen Leute über das von mir erschaffenes Kunstwerk geplant. Ausserdem wollte ich wissen, welche Verhaltensmodelle nach der Ankunft der goldenen Figur am 9.Mai angewandt werden- am Tag der Durchführung den von Russen gewohnten Rituale.

Bronzene Nacht in Miniatur

Leider konnte sich die Aktion nicht ruhig entwickeln, denn bald kam die Polizei an. Zur gegebenen Situation haben sie sich feindlich verhalten, die Skulptur wurde angerempelt und umgestossen, technokratisch wurde sie von Tõnismägi entfernt. In einer Miniatur wurde die Situation wiederholt, die im April vor 2 Jahren stattgefunden hat, als der Soldat weggeschafft wurde. Polizei hat mir nicht erklärt, auf welchen rechtlichen Grundlage sie mein Kunstwerk wegschaffen. Ich habe der Polizei vorgeschlagen, dass ich selbst die Skulptur wegfahren könnte, doch wurde mein Vorschlag nicht angenommen. Die Figur wurde weggefahren und ich wurde zur Polizei geführt, um Erklärungen zu geben.

Über die Bedeutung des Bronzenen Soldaten wurden mehrere Meinungen in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Dies hat die Situation nicht verbessert. Als Künstlerin habe ich beschlossen, dass über die Dinge, über die man auf normalen Sprachen nicht unterhalten kann, kann und muss man in der Sprache der Künste sprechen. Diese Sprache ist definitionsgemäß mehrdeutig und gibt mehr Möglichkeiten. Leider wurde mir nicht die Möglichkeit gegeben frei in dieser Sprache zu sprechen, mit Leuten zu reden... Es wurden vorsätzlich Hindernisse erschaffen, aber auch das ist ein Teil der Realität, die ich lerne in die Sprache der Kunst zu übersetzen.

Alle, die interessiert sind mein Projekt kennenzulernen, erwarte ich von Juni bis Oktober in Venedig. Zusätzliche Information über das Projekt und die Aktion am 9.Mai ist auf der Internet-Seite der Autorin
www.kristinanorman.com zu finden.

1 Kommentar:

Lingüista hat gesagt…

Als Kunst habe ich nichts dagegen. Der goldene Soldat auf Tõnismägi... darüber sind meine Gefühle anderer Natur. Die Künstlerin hätte natürlich eine Reaktion erwarten sollen. Zu sagen, dass die Reaktion eine Überraschung war, ist meines Erachtens mindestens naiv.

Dass der Soldat einen "heiligen Wert" in den Herzen mancher Russischsprechender in Estland gefunden hat, ist nicht umstritten. Ihn wieder auf Tõnismägi zu setzen spricht aber eine negative Meinung über die pronsöö aus. Ob die Künstlerin das beabsichtigt hatte oder nicht, steht diese negative Stellungnahme jedoch fest.

Eine bessere (und meiner Meinung nach interessantere) Kritik wäre es, diese "Heiligung" des Soldaten zu vergleichen mit der "Heiligung" estnischer Monumente und Symbole, die während der Sowjet-Zeit auch illegal waren (z.B. die estnische Flagge). Die Reaktion der heutigen Russischsprenchenden ist vielleicht mit der damaligen Reaktion der Esten zu vergleichen.