Dienstag, März 17, 2009

Streit um russische Schulen

gestern wurde in estnischen Massenmedien ein Ereignis diskutiert bei denen sich manch einer in die Zeiten des Komsomols versetzt fühlen dürfte. Schüler einer Tallinner Realschule, der Vorsitzender der Schülermitverwaltung dort ist und auch der Vereinigung der Schülervertretungen in Estland angehört, wurde nach einem offenen Brief an den russischen Botschafter in Estland von seinen Posten entbunden. Was ist passiert?

Vor einigen Tagen hat der russische Botschafter Nikolai Uspenskij einer russischen Zeitung ein Interview gegeben, in dem er die estnische Bildungspolitik in den russisch-sprachigen Schulen scharf kritisiert hat. Die Lehrerzahlen würden ständig sinken, weil die Sprachinspektion als repressiver staatlicher Organ eingesetzt würde, um die Lehrer unter massiven Druck zu setzen und zu entlassen. Der Schüler Sergej Metlev hat diesen Vorwurf in einem offenen Brief zurückgewiesen und das Interview als Einmischung in innenestnische Angelegenheiten bezeichnet. Dieser Brief wurde nicht als seine Privatmeinung veröffentlicht, sondern in seiner Funktion als Vorsitzender des SMV der Realschule. Daraufhin hat sich die Schule offiziell beim Botschafter entschuldigt und Sergej musste von seinem Posten als Vorsitzender der SMV zurücktreten. Soweit so komsomol-ähnlich.

Allerdings gibt es noch einige Hintergründe, die man wissen sollte, bevor man über den Fall vorschnell urteilt. Die Vereinigung der SMVs wird in Estland von der Organisation Offene Republik finanziert, die eine Jugendorganisation der national-konservativen Partei Isamaa Res Publica darstellt. Der Vorsitzende der Offenen Republik Evgenij Krishtafovic ist einer der umstrittensten russisch-sprachigen Politiker in Estland, der absolut vorbehaltlos für das Aufgeben der nationalen Identität der russisch-sprachigen Bevölkerung eintritt und ein größerer Nationalist ist, als viele der Esten. Dementsprechend unbeliebt ist er unter denjenigen, die sich nicht komplett in die estnische Gesellschaft integrieren wollen und können. Wie Sergej zugegeben hat, entstand die Idee zu dem Brief bei einer Diskussion zwischen ihm und Krishtafovic, so dass er wohl nicht ahnen konnte in welchen Wespennest er da sticht und welche Konsequenzen für ihn das haben kann. Seine Mitschüler sehen das ähnlich, dass Sergej zwischen zwei Feuer kam, die er komplett unterschätzt hat. Sie berichten von kompetenten Lehrern, die in der letzten Zeit entweder freiwillig gegangen sind, oder die Schule verlassen mussten und durch unerfahrene Lehrkräfte ersetzt wurden, deren einziger Verdienst ist, dass sie gut die estnische Sprache beherrschen.

Es ist zu befürchten, dass Sergej nicht das einzige Opfer des Krieges zwischen den bestehenden russischen Schulen und den estnischen Bildungspolitikern bleiben wird. In einem Gespräch sagte mir der Vorsitzender des Zentrums für Menschenrechte Alexej Semjonov, dass er befürchtet, dass die nächsten Provokationen gegen die russisch-sprachige Bevölkerung durch massive Schliessungen russisch-sprachigen Schulen erfolgen werden. In Lettland kam es in der Vergangenheit zu massiven Schülerdemonstrationen, als angekündigt wurde, dass ein Grossteil des Unterrichts auf Lettisch abgehalten werden muss. Hoffentlich blüht Estland keine Wiederholung.



Nachtrag: Inzwischen hat der estnische Bildungsminister Tõnis Lukas vorgeschlagen die Direktorin der Schule auf der Sergej lernt Olga Kalju, zu entlassen.

6 Kommentare:

sonikrave hat gesagt…

Prinzipiell macht es ja Sinn, dass die Schüler eines Landes in einer Hauptssprache geschult werden und der Lehrplan aufeinander abgestimmt ist.

Wenn es allerdings nach Estland geht, wäre es im wirtschaftlichem Interesse schon ratsam die Schüler mehrsprachig zu unterrichten.

Das beinhaltet die Landessprache, als auch Englisch als Weltsprache, geographisch begründet auch Finnisch und Russsch und meiner Meinung nach in Hinblick Zukunft wenigstens simplified Chinesisch.

Lehrkräfte müssten dann de entsprechenden Aufgaben zugeteilt werden, in dessen Sprache diese befähigt sind und gebraucht werden.

Soweit zur Logik, nun zur IRL:

Die IRL st der Meinung die sowjetunion hätte Estland demographisch zerstört und wollen dies wieder rückgängig machen. Dazu gehört auch die Schliessung russischsprachiger Schulen.

Anstatt nun ein einheitliches Schulsystem aufzubauen und die Lehrkräfte (russsisch-, wie estnischsprachig) auf die Schulen zu vertelen, so dass alle Kinder in diesem Land von der Sprachenvielfalt profitieren können, geht die IRL wieder einmal den harten von kloty beschriebenen Nationalweg im Alleingang (denn von Reformiakond wieder dieser Weg in der Form meine Kenntnissnahme so nicht gestützt, von Kekserakond in Tallinn sowieso nicht).

Wer hier wen profitiert ist mir auch nicht ganz klar. Ein russischer Botschafter oder die IRL mit ihrer sprachenpolizei-Garde?

Wahrscheinlich beide. Zu leiden haben Bürger und andere Einwohner von Estland.

Während Estland auf russlands Meinung auch ganz einfach pfeiffen könnte, läge es allerdings für die IRL in der eigenhändischen Heimat-Hand, hier durch sinnvollere Politik, sinnvolle Lösungen für die Menschen diesen Landes anzubieten.

Das würde ich jedenfalls als Steuerzahler erwarten, denn der Staat hat denen zu dienen, die ihn bezahlen und nicht umgekehrt.

Insofern ist auch eine sprachenpolizei nicht angebracht. Sie richtet sich partiell gegen einen Teil der Steuerzahler aufgrund dessen wie ihre Sprachfähigkeiten aussehen.

Das ist auf Territorium der EU nicht akzeptierbar.

Nicht akzeptierbar ist auch, dass Lehrkräfte entlassen werden und dann ihre Rechte auf Sozalleistungen und Fortbildungsmöglichkeiten über dem Rechtsweg eingeklagt werden müssen, wie mir persönlich ein Fall in J6hvi bekannt ist.

Das alles auch auf Hnblck auf einer in Estland immer noch nicht vollständig umgesetzten EU-Direktive, welche in Deutschland auch als so genanntes Antidiskriminierungsgesetz bekannt ist.

Aber Recht haben und Recht bekommen, sind immer zwei verschiedenen Dinge.

Auch was in der Öffentlichkeit über die private Meinung immer behauptet wird.

Axel Reetz hat gesagt…

Kloty, die Offene Republik ist eine Organisation der IRL? Gibt es dafur Quellen? Ich mochte das nicht in Frage stellen, sondern wissen.

Axel Reetz hat gesagt…

Ich vergass, was war mit Schulerausschreitungen in Lettland?

kloty hat gesagt…

Der Vorsitzende der Organization Offene Republik Evgeny Krishtafovic kandidierte 2005 von der Res Publika bei den Kommunalwahlen. Nachdem er weniger als ein duzend Stimmen bekam, hat er das Aufstellen zu den weiteren Wahlen sein lassen. In seinem Blog protzt Krishtafovic, dass er das Bildungsministerium auf den Kopf gestellt hat, was man an den Aussagen von dem Bildungsminister gesehen hat. Krishtafovic hat die besten Verbindungen zu der Regierung, die ihn gerne als Beispiel vorfuehrt, dass die russisch-sprachige Minderheit sich wunderbar integriert hat, bis auf ein paar Elemente, die entweder bald aussterben (Originalzitat Krishtafovic), oder am besten das Land verlassen sollen.

kloty hat gesagt…

Gab es etwa keine Schülerdemonstrationen in Lettland 2005?

Axel Reetz hat gesagt…

Bei Ihnen klang das so, als habe es gewalttatige Ausschreitungen gegeben.