Sonntag, Dezember 21, 2008

Das war 2008

Bis zum 31. Dezember sind zwar noch ein paar Tage, doch nutze ich jetzt schon die Zeit, um zurückzuschauen auf das vergangene Jahr und einige Gedanken über das nächste Jahr loszuwerden.

Das schlimmste weltpolitische Ereignis diese Jahr war für mich nicht die Finanzkrise (über sie etwas später), sondern der Georgien-Krieg im August. Wieder (wie im April 2007) sass ich nächtelang vor dem Rechner und versuchte die wenigen Informationen aus dem Konfliktgebiet zusammenzutragen. In deutschen Medien war nur der Spiegelfechter einigermassen objektiv, die restlichen Medien schwankten innerhalb von wenigen Tagen von einem Extrem ins andere, wer der Angreifer war, wieviele Tote es gab, wer der Schuldige sei. Augenzeugenberichte gab es kaum zu lesen, deswegen habe ich beschlossen diesen Blog zu übersetzen, weil ich ihn immer noch für authentisch halte. Ich weiss allerdings bis heute nicht, wer das Mädchen ist, das diesen Blog geschrieben hat, warum sie nicht mehr schreibt und was aus ihr geworden ist. Dieser Krieg vertiefte noch mehr den Graben zwischen unterschiedlichen Nationalitäten in Estland, die Schuldfrage wird gegensätzlich beantwortet und die Paranoia vor erstarktem Russland und Schutzbedürfnis durch die NATO sind noch mehr gestiegen.

Was passierte noch so alles? Viele Artikel gab es zum Thema Notchnoj Dozor und Prozess gegen Dimitrij Klenskij, Maksim Reva, Dimitrij Linter und Mark Syrik. Im Januar wird das Urteil erwartet, es wird mit Strafen auf Bewährung gerechnet. Angesichts dessen, was für Strafen befürchtet wurden (mehrjährige Gefängnisaufenthalte) könnte man erleichtert aufatmen, doch andererseits bedeuten Bewährungsstrafen, dass keine politische Aktivitäten seitens der vier Angeklagten geduldet werden und da Klenskij seine Kandidatur für die Europaparlamentswahl für das nächste Jahr erklärt hat, bin ich mir recht sicher, dass es eine Regelung geben wird, nach der Vorbestrafte sich nicht zur Wahl stellen dürfen, so dass Klenskij als Kandidat ausgeschaltet wird. Deswegen erwarte ich eine Anfechtung des Gerichtsurteils bis zum Europäischen Gerichtshof, so dass es noch viele Artikel zu diesem Thema geben wird.

Einiges habe ich über die Rechte der Staatenlosen in Estland geschrieben. Nach recht hoffnungsvollen Fortschritten letztes Jahr, wie die Aufhebung der Reisebeschränkungen in Schengen-Staaten, gab es dieses Jahr kaum Bewegung. Die Zahl der Anträge für die estnische Staatsbürgerschaft ist gesunken, die Zahl der Anträge für die russländische Staatsbürgerschaft ist gestiegen, doch das bewegt sich auf einem Niveau, dass das Problem der Staatenlosigkeit noch sehr lange geben wird. Deswegen versucht eine Initiative, dass den Staatenlosen Wahlrecht für das Europaparlament eingestanden wird, doch habe ich meine Zweifel, ob es nächstes Jahr schon soweit sein wird.

Jetzt endlich ein paar Worte zu der Finanzkrise. Nach Jahren von zweistelligem Wirtschaftswachstum, nach dem Höhenflug der Immobilienpreise, nach traumhaft niedrigen Arbeitslosigkeit, nach Investitionen aus dem Ausland in Hülle und Fülle, nach billigen Krediten, nach der Hauptstadt der Hummers gab es eine harte Landung. Estland war das erste Land in der EU mit einem negativen BIP-Wachstum im zweiten Quartal, die Arbeitslosigkeit hat sich verdoppelt, die Immobilienpreise so gefallen, dass manche Hypotheken nicht mehr gedeckt sind und der Haushalt für das nächste Jahr besteht aus mehr Löchern als Substanz. Ganz Europa feilt an Konjunkturpaketen, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Ganz Europa? Nein, im Nord-Osten gibt es ein kleines, aber stolzes Land dessen Regierung so von Ideen Milton Friedmans überzeugt ist (der Vorsitzende der Isamaa-Partei Mart Laar hat zugegeben, dass bevor er Ministerpräsident des Landes wurde, das einzige Wirtschaftsbuch, dass er gelesen hat, von Friedman war), dass selbst in Zeiten der Krise neoliberale Ideen als die beste Arznei für das Land gesehen werden. Anstatt wichtige Industriezweige zu verstaatlichen und mit staatlichen Krediten aufzupäppeln, wird allen Ernstes vorgeschlagen sämtliche Unternehmen im Staatsbesitz (Eisenbahn, Post, Energieerzeugung) zu privatisieren. Anstatt Arbeiter vor Arbeitslosigkeit zu schützen, werden Arbeitsschutz-Gesetze gelockert, es wird immer noch über hochqualifizierte Arbeitsplätze fantasiert, die in Estland entstehen sollen, gleichzeitig werden Ausgaben für Bildung auf gleichem niedrigen Niveau gehalten (1,1% des BIPs, der europäische Wert ist 1,84%, in Schweden ist der Wert 3,73%) und die Einwanderungsbestimmungen für gebildete Arbeitnehmer aus dem Ausland werden nicht gelockert. Es ist anzunehmen, dass ein Politikwechsel nur mit einem Regierungswechsel eingehen kann, doch ist eine Regierungsbildung ohne die Beteiligung von den Parteien, die den Schlamassel ermöglicht haben nicht möglich und nach Neuwahlen sieht es momentan nicht aus.

Nächstes Jahr wird in Estland trotzdem gewählt, es gibt Wahlen in Europaparlament (was in Deutschland momentan komplett untergeht) und Kommunalwahlen. Befürchtungen werden laut, dass wieder die russophobe Karte von den Nationalisten ausgespielt wird, allerdings sehe ich momentan nicht, wie sie aussehen könnte (abgesehen von lockeren Sprüchen von Verteidigungsminister Aviksoo, dass die Gefahr besteht, dass 1/5 der estnischen Bevölkerung erschossen oder nach Sibirien abtransportiert werden). Es gibt gar nicht mehr viele Möglichkeiten, um Russland zu provozieren, oder die russisch-sprachige Bevölkerung auf die Barrikaden zu treiben, aber an Fantasie hat es den Wahlkämpfern noch nie gefehlt.

Zum Schluss möchte ich den Lesern und Kommentatoren danken, die mein Geschreibsel sich angetan haben. Besonders hervorheben möchte ich Knut Albers, Klaus Dornemann, Karl Krugmann, Maksim Reva und Dr. Axel Reetz (auch wenn er bestimmt nicht in einer Zeile mit Herr Dornemann und Reva sich sehen möchte), vielen Dank für Euere Einsendungen, Kommentare, Ideen. Ich hoffe, dass nächstes Jahr ein besseres wird, als 2008 und der Abschlussartikel für 2009 weniger dunkel ausfällt als dieser Bericht.

Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2009

Euer kloty

Mittwoch, Dezember 17, 2008

Traue keiner Statistik,

die Du nicht selbst gefälscht hast, lautet das gängige Sprichwort. Ich habe diese Statistik aus dem Blog von Michael Stalnuhhin entnommen, dem Vorsitzenden des Stadtrates von Narva. Die Bevölkerung von Narva besteht zu ca. 95% aus russisch-sprachigen Bevölkerung. Entsprechend waren an der Umfrage Russen zu 86,8%, Esten zu 6,3%, Ukrainer und Weissrussen zu jeweils 2% und andere Nationalitäten zu 2,9% beteiligt. 24,3% der Befragten waren jünger als 30, 52,4% zwischen 30-60 und 23,3% älter als 60 Jahre alt. Insgesamt wurden 200 Einwohner Narvas befragt. Das besondere an dieser Umfrage ist die Tatsache, dass die Umfrage regelmäßig seit 1989 durchgeführt wird, so dass langfristige Trends sichtbar werden.

Auf die Frage, ob eine Verletzung der estnischen Unabhängigkeit seitens UdSSR im Jahr 1940 stattfand, wurde folgendermassen geantwortet (Angaben gerundet und in Prozent):






fand statt



fand nicht statt



Unbestimmte Antwort



1990



49



30



21



1999



29



13



58



2008



19



53



29




Die Frage warum Estland in die UdSSR eingegliedert wurde, wurde folgendermassen beantwortet (Angaben gerundet und in Prozent):






Aggression seitens UdSSR



Freier Wille des estnischen Volkes



Unbestimmte Antwort



1990



44



36



20



1999



27



19



54



2008



13



48



39




1990, als noch die Kommunistische Partei regierte, als KGB noch aktiv war, haben 49% der Bewohner von Narva angegeben, dass die Sowjetunion sich Estland einverleibte, 44% sagten, dass es mit Gewalt geschah. Zehn Jahre später, als Historiker Mart Laar das Wahrheitsmonopol über die Geschichte für sich beansprucht hat und Geschichtsunterricht an den Schulen und in den Massenmedien entsprechend ausgerichtet wurde, sind es plötzlich 40% weniger, die an eine Okkupation glauben. Neun Jahre später nachdem eine ganze Generation in unabhängigen Estland gross wurde, stellt sich heraus, dass nur noch 19% an eine Verletzung der Unabhängigkeit Estlands durch die Sowjetunion glauben und noch weniger daran, dass diese Verletzung gewaltsam vollzogen wurde.

Über welche Integration reden wir hier eigentlich noch?

Dienstag, Dezember 09, 2008

Hilfe für Larissa Neshadimova

Larissa Neshadimova ist die Pressesprecherin für Notchnoj Dozor. Sie war das erste Opfer der Bronzenen Nächte, als die Polizei sie am Morgen dem 26.04.07 gewaltsam aus dem in der Nähe des Denkmals geparkten Auto schleifte und dabei verletzte. Zusätzlich wurde gegen sie eine Strafe verhängt, weil sie der Polizei Gegenwehr geleistet haben soll. Die Staatsanwaltschaft begründet die Anwendung der Gewalt mit der angespannten Situation rund um das Denkmal am ABEND des 26.04.

Hier ist die Übersetzung des Aufrufes einer Aktionsgruppe für Larissa Neshadimova:

Die Aktionsgruppe bittet um SOFORTIGE Unterestützung für Larissa Neshadimova, die Pressesprecherin von "Notchnoj Dozor". Das Gericht hat entschieden, dass die Wohnung, die sie mit ihrer altersschwachen Mutter bewohnt, auf einer Auktion verkauft werden soll, um die Schulden zu begleichen, die sich aus den Mietschulden und den von der Verkehrspolizei verhängten Strafen + Zins resultieren. Die erste Auktion war nicht erfolgreich, so dass sich die Möglichkeit ergeben hat, die Wohnung zu behalten, falls die Schulden innerhalb von 3 Monaten beglichen werden. Ein Monat ist schon vergangen. Es müssen 90 tausend Kronen gesammelt werden.

Das Geld kann man auf den Namen Dimitrij Klenskij in AS Eesti Krediidipank, Kontonummer 4278608256602 mit Zweck Neshadimova überweisen.

Alle, die aus dem Ausland überweisen, müssen folgendes angeben:
IBAN: EE 324204278608256602 SWIFT: EKRD EE22

Ausserdem kann man über Mittelsbanken Überweisungen vornehmen:

EURO (EUR):  
DEUTSCHE BANK, Frankfurt, Germany
ACC: 9471012 10 SWIFT: DEUT DE FF
DRESDNER BANK, Frankfurt, Germany
ACC: 8 123 433 00 SWIFT: DRES DE FF
ING BELGIUM SA/NV, Brussels, Belgium
ACC: 301-0179670-10/EUR SWIFT: BBRU BE BB 010
NORDEA BANK FINLAND PLC, Helsinki, Finland
ACC: 200067-01037973 SWIFT: NDEA FI HH        
Dollar (USD):
DEUTSCHE BANK, TRUST COMPANY AMERICAS, New York, N.Y., USA
ACC: 04436995 SWIFT: BKTR US 33
JP MORGAN CHASE BANK, New York, N.Y., USA
ACC: 786418673 SWIFT: CHAS US 33

Die Aktionsgruppe und Larissa Neshadimova sind auch für die kleinste Hilfe dankbar.

Samstag, Dezember 06, 2008

Demokratiedefizit in Estland

Ende Juli veröffentlichte ich eine Petition, die sich an den Petitionsausschuss des Europaparlaments gerichtet hat. Die Mitglieder von Notchnoj Dozor Maksim Reva, Dmitrij Linter und Petr Puschkarnij organisierten eine Unterschriftensammlung, mit dem Ziel auf den Umstand aufmerksam zu machen, dass die Staatenlosen Estlands nicht an Europawahlen teilnehmen dürfen. Dabei wird bei der Zuteilung der Plätze im Europaparlament auf die Anzahl der ständigen Bevölkerung eines Landes geachtet und nicht auf die Anzahl der wahlberechtigten Bürger, folglich sollte Estland entweder einen Platz abgeben, oder aber den Staatenlosen Bürgern Wahlrecht gewähren. Am 4. Dezember fand eine Pressekonferenz statt, auf der Maksim Reva und Dmitrij Linter die Ergebnisse der Unterschriftensammlung präsentiert haben.



Folgend einige Ausschnitte aus der Pressekonferenz:

"Wir, Einwohner des vereinten Europas, die an die Ideale der europäischen Demokratie glauben, halten für unhaltbar die Verletzungen von grunddemokratischen Rechten in dem Land wo wir geboren wurden und den größten Teil unseres Lebens verbrachten. In 5 Monaten während der Durchführung der Aktion wurden 3000 Unterschriften gesammelt. Unsere Initiative wurde von fast allen zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt, die die russischsprachigen Einwohner Estlands vereinen - Einwohner, die in Estland diskriminiert werden und denen ein Teil ihrer demokratischen Rechte entzogen wurde."

"Leider wurde die Initiative der Unterschriftensammlung nur von einem kleinen Teil der estnisch-sprachigen Bevölkerung unterstützt, weil viele sich von nachfolgenden Repressionen fürchten. Damit kann man nur über beschränkte Unterstützung der Initiative seitens der einheimischen Bevölkerung sprechen."

"Unsere Initiative wird vom Mitglied des Europaparlaments Frau Tatjana Arkadjevna Zhdanoka unterstützt. Im Verlauf der Aktion wurde die Idee über die Gewährung des Wahlrechts den staatenlosen Bürgern von Estland und Lettland von der vereinten linken Partei Estlands und der Europäischen Linkspartei unterstützt. Auf der weltweiten Konferenz der russländischen Compatrioten wurde ein Aufruf an den Vorsitzenden des Europaparlaments und an den Vorsitzenden des Kongresses der lokalen und regionalen Regierungen verabschiedet, in dem die Empfehlungen der UNO, PACE und OSZE zur Beseitigung von andauernden Demokratiedefiziten in Estland und Lettland unterstützt werden. Wir wenden uns an die Abgeordnete des Europaparlaments aus Estland mit der Bitte maximale Anstrengungen zu unternehmen, um die Demokratiedefizite in Estland zu beseitigen und die Petition über die Gewährung des Wahlrechts in Europaparlament den Staatenlosen zu unterstützen, die von drei Tausend Einwohnern Estlands unterzeichnet wurde. Wir möchten die Mitglieder des Europaparlaments und die Abgeordnete der nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten der EU auf zahlreiche Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen, die gegen die Vertreter der nationalen Minderheiten in Estland gerichtet werden, in einem Land, das ein Mitglied der EU ist."

"Die Initiative bedankt sich für die Unterstützung und Hilfe bei der Unterschriftensammlung bei:
Vereinigung "Notchnoj Dozor"
Vereinte linke Partei Estlands
Europäische Linkspartei
Vereinigung "Liste von Klenskij"
Organisation "Unsere Partei - Partei der Gerechtigkeit"
Vereinigung der minderjährigen Gefangenen des Faschismus
Mitgliedern des Estnischen Koordinationsrates der russländischen Compatrioten und vielen anderen, die bei der Unterschriftensammlung geholfen haben und keine Angst hatten ihre Unterschrift zu geben.

Alle Unterschriften werden vom Mitglied des Europaparlaments Tatjana Arkadjevna Zhdanoka an den Petitionsausschuss des Europaparlaments übergeben."