Sonntag, November 16, 2008

Untreue Untergebene

vor einer Woche fand die Fortsetzung des Gerichtsverfahrens über Dmitrij Klenski, Maksim Reva, Mark Syrik und Dmitrij Linter statt. Der Korrespondent der Zeitung Den Za Dnjem (Tag für Tag) beobachtet den Prozess.

Die Richterin Violetta Kõvaks wartet. Dmitrij Klenski schreibt irgendwas in einem grossen Heft auf; Dmitrij Linter spielt Spiele auf seinem Handy, Maksim Reva liest ein Hochglanzjournal, Mark Syrik das Buch des indischen Mystikers Oscho. Die Anwälte, von Gesetzesbüchern umgeben, lesen dicke Ordner des Prozesses. Die Staatsanwältin Triin Bergmann legt in den Laptop eine CD ein und verkündet: Seite so und so, Gespräch zwischen dem und dem... Die nächste Audio-Aufzeichnung wird eingeschaltet. So verliefen die Montags- und Dienstagsitzungen: die Staatsanwaltschaft führte dem Gericht Beweise vor, hauptsächlich Audioaufzeichnungen der Gespräche der Angeklagten.

Revoluzzer - bei Fuss

Man sollte gleich sagen: die juristische Bewertung der vorgelegten Beweise kann (und ist verpflichtet) das Gericht geben, deswegen werden weiter nur persönliche Eindrücke geschildert. Nun dann, die Eindrücke sind gemischter Art. Einerseits, entschuldigung, peinlich. Uns alle hat man gelehrt, dass fremde Gespräche anzuhören schlecht sei; ausserdem, nach jedem "Hallo!" kann man sich lebhaft vorstellen, wie unsichtbare Leute mit grossen Kopfhörern auch dein Telefon abhören, und dabei in speziellen Heftchen Bemerkungen machen: dieses Wort könnte eine Gefahr für den Staat bedeuten..., und dieses vielleicht bedeutet es tatsächlich... Sehr unangenehm fühlt man sich, wenn auch mittelbar, als ein Mitglied eines Geheimbundes der Abhorchenden, Spickenden und Beobachtenden.

Wobei das sind, obwohl natürliche, doch Emotionen. Eine andere Tatsache ist, dass vorgeführte Aufnahmen ziemmlich überraschen - dabei aber nicht so, wie es die Staatsanwaltschaft gerne hätte. Im öffentlichen Bewusstsein sind die Aktivisten von "Notchnoj Dozor" Halbgötter, fast Revolutionäre und schon ganz bestimmt Helden. Doch aus den Gesprächen von Linter und Klenski, aus den Interviews, die sie während dieser aprilen Tagen der russländischen und anderer Presse gegeben haben, setzt sich ein anderes Bild zusammen. Die Mitglieder von Dozor verstehen oft nicht, was vor sich geht; sie sind katastrophal uninformiert; schliesslich sind sie sehr vorsichtig und bleiben bewusst weg von den grossen Ereignissen, da sie sich vor Repressionen fürchten, denn sie verstehen: ihrer wird man sich als erstes annehmen. Ihre Ratlosigkeit ist echt, zum Beispiel wundern sie sich sehr, als sie erfahren, dass aus Ida-Virumaa nach Tallinn "zur Aushilfe" irgendwelche Leute fahren. Daher - Emotionen, Ausrufe, Flüche. "Das war's, das Land ist am Arsch!" - sagt einer der Aktivisten. Am 27. April 2007 am Morgen reden und denken viele in Estland genau dasselbe.

Was es in diesen Gesprächen, aus Sicht einer Privatperson, nicht gibt, das sind Spuren der Organisierung von Massenunruhen, das heisst des Artikels 238, die den Dozor-Mitgliedern "Bürger-Vorgesetzte" anhängen möchten. Mark Syrik (wie man aus recht nebelhaften und abreissenden Aufzeichnungen schlussfolgern kann) sprach mit russländischen Kameraden über die Organisierung einer ständigen "Mahnwache" am Tõnismägi, doch ist es wohl nicht strafbar, auch wenn für das Bewachen 80 Kroonen die Stunde versprochen wurden. In irgendeinem Moment stellt sich heraus, dass die "Verschwörer" nicht in der Lage sind 10 000 Kroonen zu finden, um eine Wohnung für die ankommenden "Mahnwächter" zu mieten. Fühlen Sie wie stark die "Verschwörung" finanziert wurde?

Das einzige mehr oder weniger konsperative Gespräch, das wir angehört haben, war ein Telefongespräch zwischen Dmitrij Linter und Dmitrij Klenski, das im März 2007 gleich nach den Parlamentswahlen stattgefunden hat. "Wir müssen uns festgelegen" - sagt Linter - "doch Vektoren (?) sind viele unklar... Auf den Wahlen haben wir keine Chancen, wir haben keine Ressourcen und werden auch keine haben..." Und weiter - irgendwas Unklares aus dem Gebiet der Polittechnologien: "rechtlicher Kontext", "das Format muss systematisiert werden", "Notchnoj Dozor ist eine Marke, die besser bekannt ist als die Konstintutionelle Partei"... Worüber sie sprechen, über die Organisierung von Massenunruhen oder doch über Besonderheiten der Lokalpolitik? Kontext der geheimnisvollen Rede kann man vollständig mit einem Satz Dmitij Linters umschreiben: "Unsere Revoluzzer müsste man still bei Fuss, doch sauber..." Was für eine Organisierung von Unruhen! Es sieht so aus, dass Linter mit Kameraden, genau umgekehrt das Volk beruhigten, wie sie es konnten.

Tadel und Verbrechen

Der Rest ist Retorik, doch die Retorik ist bei uns kein Verbrechen, sonst müssten längst alle Politiker einsitzen. Ein charakteristischer Wortabtausch aus einem Gespräch von Klenski und einem Kameraden (Ende April): "Und am ersten [Mai] wird es geben, geben?..." - fragt der Kamerad. "Wird es geben!.." - überzeugt-festlich antwortet Klenski. Was wird es geben? Weltuntergang? Estland wird zum zweiten Sarajewo? Der Eindruck ist, dass keiner der Organisatoren von nichts weiss. Alle warten auf irgendwas, hier und da hört man komplett fantasiebehaftete Prognosen: bei uns hat de-fakto ein Bürgerkrieg angefangen, wahrscheinlich wird es wilde Aufstände geben, jetzt, nach alledem, wird sich alles in Estland ändern, die Regierenden werden gezwungen sein die Russen zu berücksichtigen... Doch darüber hat zu dieser Zeit halbes Land gesprochen - manche mit Freude, andere mit Angst.

In zahlreichen Interviews denkt Dmitrij Klenski über das "Krankenzimmer nummer 6" (die Psychiatrie-Abteilung - Anm. des Übersetzers), "die Eingeborenen in Fracks", "nicht ganz psychisch gesunden Premier-Minister" und "die Regierung, die bewusst die Gesellschaft spaltet" nach, darüber, dass man die Russen in Estland ausrottet, sie in gedächtnislose Sklaven verwandelt, mit ihnen ein fürchterliches Experiment unternimmt. Es sieht so aus, dass solches Gerede heutzutage als "Aufwiegeln von antistaatlichen Stimmungen" klassifiziert wird. Doch im April 2007 und vorher und danach haben hunderte, wenn nicht tausende Leute die Regierung der Republik in Massenmedien kritisiert und zehn- wenn nicht hunderttausende in persönlichen Gesprächen. Wenn das Gericht in so einer Kritik ein Verbrechen findet, dann kann jeder Mensch, der die Taten der Mächtigen nicht als Untergebener auslegt, sich auf der Anklagebank wiederfinden. Und das wäre fast das ganze Land; wer von den Bewohnern Estlands, ausser komplett Angepassten, hat sich nicht einmal über die Machthaber aufgeregt?

Für Nachtisch hat die Staatsanwaltschaft die Videoaufnahmen gelassen, die verschiedene Episoden der "Bronzenen Nacht" zeigen. Die Vorführung, wie wir verstehen, ist nichts für Nervenschwache, besonders die Episoden, wo die Polizei verschiedene Spezialmassnahmen anwendet. Im Gerichtssaal gab es fast keine Nervenschwache, dort haben sich erfahrene Leute versammelt. "Fast" - ist nicht nur pro-forma geschrieben: eine Frau, dem Nervenzusammenbruch nahe, fühlte sich wie auf einem Meeting und schrie: "Massenmörder!" Da hat selbst die Richterin nicht ausgehalten - und hat kurzerhand alle aus dem Sitzungssaal entfernen lassen, ausser der unmittelbar Beteiligten.

Die Fortsetzung folgt, sogar recht bald: Im November-Dezember sind noch einige Sitzungen in Dozor-Sache geplant.

Vladimir Sadekov, Verteidiger von Maksim Reva und Mark Syrik:

"Aus meiner Sicht haben die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise nicht der Beschuldigung im Sinne des Artikels 238 entsprochen. Die Bewertung der im Laufe der Gerichtsverhandlung vorgeführten Beweise werden wir unsererseits während der Verteidigungsrede vornehmen, mit dem jetzigen Stand habe ich ein Gefühl, dass man über die Erfüllung des Artikels 265 reden kann - Organisierung nichtsanktionierten Meetings, ohne der Organisierung der Massenunruhen. Doch die Bewertung der Beweise kann nur in ihrer Gesamtheit gegeben werden, und das macht das Gericht. Wenn die Bewertung des Gerichts sich von unserer Bewertung unterscheidet, werden wir sie anfechten".

Aus dem Strafgesetzbuch:

Artikel 238. Organisierung von Massenunruhen.

Organisierung von Massenunruhen, die von Pogromen, Zerstörungen, Feuerzündungen und anderen ähnlichen Taten begleitet werden, wird mit Gefängnisaufenthalt von einem bis fünf Jahren bestraft.

Artikel 265. Verbotene Massenversammlung

Organisierung von verbotenen Massenversammlung oder Aufruf an einer solchen Versammlung teilzunehmen, wird mit Geldstrafe oder Gefängnisaufenthalt bis zu einem Jahr bestraft.

4 Kommentare:

Axel Reetz hat gesagt…

Offen gestanden, auch diese Übersetzung ist so schlecht, dass ich dem Text nicht folgen kann.

kloty hat gesagt…

Offen gestanden habe ich von einem Dr. in Politikwissenschaften einen geistreicheren Kommentar erwartet.

Anonym hat gesagt…

Wie bereits geschildert, habe ich Schwierigkeiten mir vorzustellen, was genau im Gerichtssaal passiert ist. Und Was soll ich kommentieren, wenn ich auch nicht verstehe, ob und was der Journalist oder der Übersetzer ironisch meint?

kloty hat gesagt…

Ich gebe zu dieser Artikel war recht schwierig zu übersetzen, ich habe mehrere Wörter nachschlagen müssen und er wurde im columnistischen Still verfasst, soll heissen mit recht viel Ironie geschrieben. Das war der einzige Artikel, den ich finden konnte, der über die Geschehnisse im Gerichtsaal berichtete, ansonsten hätte ich nur Blog-Einträge von Syrik und Reva zur Wahl gehabt, ich wollte aber, dass eine dritte unabhängige Person ihre Eindrücke schildert. Es kann sein, dass an der Übersetzung geschliffen werden könnte, doch ich bin alleine, habe keinen Redaktor, so dass wenn ich entscheiden muss, soll ich den Artikel übersetzen, so dass andere Personen, die sich dafür interessieren es auch lesen können, oder lasse ich es lieber, weil manche Personen dem Schreibfluss nicht folgen können, dann entscheide ich mich für das erste.