Mittwoch, Februar 08, 2006

Polemik über die Mohammed Karrikaturen

Die Vorgeschichte der Karikaturen, die zur Zeit so viel Aufsehen in der moslemischen und der europäischen Zivilisationen erregen, dürfte inzwischen bekannt sein, es wird viel über das mangelnde Demokratieverständnis gesprochen, über die Presse- und die Meinungsfreiheit, über kulturellen Graben, Clash of Civilisations, usw. Meiner Meinung nach gibt es zwei Angriffspunkte an der Argumentation der Europäer, die ich im nachfolgendem näher erläutern möchte:

1. Die Presse und die Meinungsfreiheit ist definitiv nicht so universell, wie es dargestellt wird, es gibt einige Tabus, die kein europäischer Journalist übertreten wird, ohne dafür Ärger mit der Justiz zu bekommen. Ironischerweise verdeutlicht eine Karikatur, die in einer jordanischen Zeitung veröffentlicht wurde am besten die Doppelzüngigkeit der europäischen Journalisten. Darauf ist zu sehen, wie ein Karikaturist dem Chefredakteur verschiedene Zeichnungen vorlegt. Auf der ersten Zeichnung wird das Davidstern mit dem Hakenkreuz gleichgesetzt. Diese Zeichnung wird als antisemitisch abgelehnt. Auf der zweiten Zeichnung sieht man einen schwarzen Bimbo. Diese Zeichnung wird als rassistisch abgelehnt. Die dritte Zeichnung ist eine der zwölf Mohammed Karikaturen. Diese Zeichnung wird unter der Begründung der Pressefreiheit angenommen. Was folgen wir daraus? Jede Gesellschaft hat Tabus, jedoch sind die Tabus in verschiedenen Gesellschaften anders. Ein etwas abgegriffenes Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Einstellung zur Kinderpornografie in Japan und in Europa (Stichwort Sex-Mangas).

2. Eine Karikatur erlaubt keine tiefere Beschäftigung mit dem dargestelltem Thema, wie ein längerer Artikel. Eine Karikatur muss griffig sein, leicht verständlich, wie eine BILD-Schlagzeile. Es gibt Themen, die eine Vereinfachung nicht erlauben, Kritik an Weltreligionen ist sicherlich ein solches Thema. Ich trete dafür ein, dass man sich mit aus der heutigen Sicht unmenschlichen Gesetzen der Scharia auseinandersetzt, dass man die Stellung der Frau kritisiert, es gibt viele Punkte, die eine moderne Gesellschaft der westlichen Zivilisationsprägung islamischen Ländern vorwerfen kann, die Verletzung der Menschenrechte, Nichtbeachtung der Minderheitenrechte und gerade die Presse- und die Meinungsfreiheit, aber Karrikaturisierung, die Lustigmachung und die Simplifizierung dessen ist der falsche Weg. Der Zeitgeist des neuen Jahrtausends in Europa ist der Zeitgeist der Satire, der Ironie, der Relativierung und schliesslich des puren Zynismus. Die Massenmedien, die moderne Literatur sind voll von Leuten, die es als ihre vordergründigste Aufgabe sehen, sich über ihre Mitmenschen auf ihre Kosten köstlich zu amüsieren. Der neueste Trend vor allem der deutschen privaten Fernsehkanäle ist es in billigen Shows über jeden und allen kübelweise Dreck auszuschütten. Mal ist die musikalische Geschichte das Thema ("Die 100 nervigsten Hits der Popgeschichte"), mal die Künstler selbst, mal sind es Lästereien über die Männer, mal über die Frauen. Stefan Raab und Harald Schmidt sind jahrelang auf Sendung und gehören zu den beliebtesten Moderatoren, ihr Erfolgsrezept besteht darin möglichst über jeden und allen lustig zu zu machen, nichts ernst zu nehmen und möglichst viele Tabus zu brechen, damit die Quote stimmt und am nächsten Tag sie in aller Munde sind. Über was haben wir uns noch nicht lustig gemacht, über was noch nicht gelästert, was noch nicht in den Schmutz gezogen?

Die Front verläuft diesmal interessanterweise nicht zwischen Islam und Christentum, es verläuft zwischen Islam und den Zynikern dieser Welt. Vatikan hat sich bezeichnenderweise missbilligend über die Karikaturen geäussert, auch die USA beteiligen sich nicht an der Auseinandersetzung. Ist denn Zynismus ein Fundament auf dem sich eine funktionierende Gesellschaft bauen läßt? Wenn jeder über jeden ohne Rücksicht auf dessen Stellung und Verdienste unfundiert (also keine berechtigte Kritik) negativ äußern kann, und sich dann hinter die Begriffe Ironie, Satire, Meinungsfreiheit versteckt, ist jeder Anreiz Anerkennung der Gesellschaft zu bekommen, dahin. Wozu sich bemühen, wenn man sich hervortut und sich damit für Angriffe jeglicher Art verwundbar macht? Aus dem Zeitalter des Zynismus resultiert auch der Nihilismus, die Verneinung jeder Werte, Misstrauen gegenüber jedem. Man ist jederzeit bereit aufzuspringen und "Bullshit-Bingo" zu schreien, denn es ist unglaublich, dass es auch positive Nachrichten gibt und Menschen, die ohne Hintergedanken Gutes tun. Zuerst wird auf die negativen Seiten einer Sache geschaut, es wird versucht zuerst Kritik zu üben, alles wird nach Schwachstellen abgeklopft und wenn eine gefunden wurde, wird die gesamte Sache für nichtig erklärt. Man übt sich in Relativismus, jede Freude und jedes Leid wird im Verhältnis zu noch größeren Freude oder Leiden gesetzt. An jedem Tabu wird solange gerüttelt, bis es fällt, jedes moralische Bedenken wird beiseite geräumt, indem man eine Gruppe von Personen präsentiert, deren Glück genau von der Abschaffung dieses Tabus abhängt. Ist diese Art von Gesellschaft nicht schon degeneriert? Eine nihilistische Gesellschaft ohne Ideale, ohne Ziele? Vielleicht hängt auch der Bevölkerungsrückgang in Europa direkt damit zusammen?

Ich bin weit davon entfernt, Verständnis für die Zerstörung der Botschaften und Entführung von Europäern gutzuheissen. Aber vielleicht kann Europa angesichts solcher Ereignisse in sich gehen, begreifen, was der Zynismus und blankes Unverständnis und Nichtbeachtung der Gefühle anderer Gesellschaften anrichten kann.

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